Jahrgang 2 Nr. 0 vom 4.08.2001
 

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Wohnen im Erdbebengebiet

Vom 5. bis zum 7. Juli veröffentlichte die Tageszeitung "Radikal" eine Artikelserie zu den Wohnungsproblemen im Gebiet der beiden schweren Erdbeben des Jahres 1999. Wie die Artikelserie zeigt, sind viele Probleme auch zwei Jahre nach den Beben von Gölcük und Düzce noch nicht gelöst.

 

Die Kredite für den individuellen Wohnungsbau sind weitgehend verpufft

Den Erdbebenopfern, die sich ein neues Haus bauen wollten, wurde ein staatlicher Kredit in Höhe von 6 Milliarden TL zugesichert. Sie konnten auch 1 Jahr und 11 Monate nach dem Gölcük-Erdbeben dieses Geld nicht in Anspruch nehmen, weil die Städte und Gemeinden die für die Baugenehmigung erforderlichen Bebauungspläne noch nicht erlassen haben. Durch die starke Inflation würde selbst eine sofortige Erteilung der Baugenehmigung jedoch nicht ausreichen, um ein Bauprojekt zu finanzieren. Als die Kreditzusage erteilt wurde, kostete ein Sack Zement 1 Million TL. Jetzt kostet er 2,75 Millionen TL. Das Problem besteht nun jedoch auch darin, daß diejenigen, die das Kreditprogramm in Anspruch genommen haben, kein Anrecht auf die Teilnahme am staatlichen Wohnungsbauprogramm haben. Damals haben sich 40.000 Erdbebenopfer für das Wohnungsbau- und 12.000 für das Kreditprogramm entschieden. Letztere Gruppe fordert nun, ebenfalls ein Anrecht auf Wohnraum im Rahmen des staatlichen Bauprogrammes zu erhalten.

 

Die Fertigstellung der Wohnungen im Rahmen des staatlichen Bauprogramms hat sich massiv verzögert

Der Termin für die Herstellung sicheren Wohnraums für die Erdbebenopfer (Wohnungsbauprogramm) ist dreimal verschoben worden. Zunächst sollten die Wohnungen bereits zum 30. November 2000 fertiggestellt werden. Dann wurde Januar 2001 als Übergabetermin bekanntgegeben. Später wurde von April und Juni gesprochen ...

Entstanden sind in 26 Gebieten Siedlungen mit 42.000 Wohnungen. Die Infrastrukturmaßnahmen und die Gestaltung des Wohnumfeldes sind bisher jedoch noch nicht abgeschlossen. Mit dem Bau von Schulen, Gesundheitsstationen, Läden und ähnlichem ist noch nicht begonnen worden.

 

Nach wie vor leben Tausende in Zelten

Auch knapp 2 Jahre nach dem Erdbeben leben noch Tausende in Zelten. In Düzce beispielsweise bestehen noch zwei Zeltstädte, in Degirmendere noch eines. Die Lebensbedingungen in den Zeltstädten verschlechtern sich mit dem Nachlassen der Aufmerksamkeit der Verantwortlichen. Nach Schilderungen des Radikal-Artikels funktionieren die Toiletten nicht, es gibt kein Wasser und keine Sicherheit. Die Folge sind massive Gesundheitsprobleme. Viele Frauen klagen über Rückenschmerzen wegen des Wassertragens. Für die Menschen in den Zeltstädten gibt es kaum eine Möglichkeit in Wohncontainer umzuziehen. In Degirmendere erklärte eine Frau: "Im Sommer werden wir gebraten, im Winter frieren wir."

 

Schiebung bei der Reparatur beschädigter Häuser

Nach dem Erdbeben wurden Schadensbilanzen erstellt. Häuser mit der Diagnose "schwer beschädigt" mußten abgerissen werden. Leicht und mittel beschädigte Häuser sollten repariert und verstärkt werden. Aber auch in Gebieten, die laut geologischem Gutachten nur eine höchstens dreistöckige Bebauung zulassen, wurden fünf- und sechsstöckige Häuser renoviert. Nach dem Marmara- und Düzce-Erdbeben fielen 103 Gebäude in die Kategorie "mittlerer Schäden". Durch fragwürdige Gutachten wurden schwerbeschädigte Gebäude jedoch in die Klasse mittlerer Schäden eingestuft. Die zeigt nicht zuletzt die Erfahrung des Düzce-Erdbebens, bei dem viele Gebäude, die einen Raport mit der Einschätzung "mittel beschädigt" erhalten hatten, einstürzten. Zum Teil übernehmen außerdem die gleichen Firmen, die die Häuser gebaut haben, auch die Sanierungsarbeiten. Für die Instandsetzung der Häuser wurde ein vergünstigter Kredit in Höhe von 2 Milliarden TL geboten.

 

Die Wiederherstellung der Infrastruktur erzeugt enorme Belastungen

In Adapazari wurden 80 Prozent der Infrastruktur durch das Erdbeben zerstört. Die Wasserversorgung ist inzwischen wieder hergestellt. Die Kanalisation wird im August fertig. Dennoch ist mit einem Abschluß der Bauarbeiten erst im Zeitraum von fünf Jahren zu rechnen. Bis dahin gleicht die Stadt einer Großbaustelle. Eines der größten Probleme ist Staub, dessen Konzentration ein Gesundheits-gefährdendes Maß erreicht hat.

 

Eigentumsrechte an Wohnungen im Rahmen des staatlichen Bauprogramms

Erdbebenopfer, die das staatliche Wohnungsbauprogramm in Anspruch genommen haben, erhalten eine Eigentumswohnung. Die Eigentumswohnung wird mit einer Hypothek belastet, die zinsfrei in 20 Jahren abgetragen wird. Die Höhe der Hypothek soll durch Umlage der Baukosten festgestellt werden. Da die Bauarbeiten jedoch noch nicht abgeschlossen sind, ist bisher noch unbekannt, welche Höhe die Hypothek erreichen wird. Nach Ansicht der Koordinationsstelle für Erdbebenhilfe dürfen die Wohnungen nicht verkauft werden. Sie gehören den Erdbebenopfern nach dieser Auffassung erst wenn die Hypothek vollständig abgetragen ist. Dennoch versuchen viele Inhaber von Bezugsrechten, die Wohnungen über Makler zu verkaufen. Makler werden eingesetzt, um einen Vertag über die Abtretung der Rechte sowie ein Rücktrittsrecht des Käufers festzulegen. Der Maklerverband in Kocaeli vertritt die Haltung, daß den Erdbebenopfern unbedingt die Möglichkeit eines Verkaufs der Wohnungen zugestanden werden müsse, da viele von ihnen inzwischen nicht mehr in der Region leben. Was soll sonst aus den Wohnungen werden?

 

Zweckentfremdung der Wohncontainer

Während noch Tausende Erdbebenopfer in Zelten leben und keine Möglichkeit haben, in einen Wohncontainer umzuziehen, sind diese vielerorts zweckentfremdet worden. Einzelne sind durch Zuwanderer besetzt, manche werden als Depot benutzt. Manche Bewohner verfügen über mehrere Container. Andere lassen 'ihren' Container leer stehen als Vorsorge, wenn es erneut beben sollte.

 

 

Die Kredite für den individuellen Wohnungsbau sind weitgehend verpufft


Die Fertigstellung der Wohnungen im Rahmen des staatlichen Bauprogramms hat sich massiv verzögert


Nach wie vor leben Tausende in Zelten


Schiebung bei der Reparatur beschädigter Häuser


Die Wiederherstellung der Infrastruktur erzeugt enorme Belastungen


Eigentumsrechte an Wohnungen im Rahmen des staatlichen Bauprogramms


Zweckentfremdung der Wohncontainer

 

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