Jahrgang 2 Nr. 0 vom 4.08.2001
 

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Sechs Monate nach dem großen Erdbeben von Düzce

In der vergangenen Woche waren genau sechs Monate nach dem verheerenden Erdbeben von Kocaeli und drei Monate nach dem von Düzce vergangen. Nach wie vor sind für die Überlebenden viele Probleme ungelöst. Die Diskussion über Vorbereitungsmaßnahmen auf weitere Erdbeben wird fortgesetzt, stößt aber in vielerlei hinsicht an Grenzen.

Die Aufräum- und Abrißarbeiten sind vielerorts noch nicht abgeschlossen. Wie das türkische Fernstehen in der vergangenen Woche zeigte, wurde in Izmit damit begonnen, beschädigte Appartmenthäuser durch Sprengung abzureißen, um die Geschwidnigkeit zu erhöhen. An Wiederaufbau ist unter diesen Umständen noch kaum zu denken. Es wird Jahre dauern, bis die Menschen wieder ein zu Hause gefunden haben.

Im Erdbebengebiet, das sich von Yalova und Izmit bis nach Düzce erstreckt, leben nach wie vor viele Menschen in Zeltlagern. Ein Bericht von AFP vom 13. Februar diesen Jahres spricht allein in der Region von Bolu von noch 40 Zeltlagern, in den ca. 75.000 Menschen leben.

Die Zahl der Fertighäuser ist nach wie vor unzureichend. Hinzu kommt, daß nicht nur Häuser zerstört und Menschen getötet wurden, sondern daß zugleich auch die wirtschaftliche Infrastruktur schwer beschädigt wurde. So ist neben Kälte, Regen und Schnee eines der größten Probleme der Erdbebenopfer die Arbeitslosigkeit und damit die Armut.

Auch psychologisch sind die Erdbeben noch lange nicht verarbeitet. Zwar erscheinen heute nicht mehr täglich neue Prognosen darüber, ob Instanbul von einem neuen großen Erdbeben bedroht wird - wie es noch im November der Fall war, doch leiden nach wie vor viele Menschen an Schlafstörungen und die Geschwindigkeit, in der sich neue Gerüchte über die Voraussage eines Erdbebens verbreiten, zeigt, daß die Sensibilität noch lange nicht nachgelassen hat.

Gleichzeitig steht der türkische Staat im Hinblick auf die nötigen Schlußfolgerungen, die aus den Zerstörungen beider Beben gezogen werden müssen, vor einem Dilemma. Istanbul und andere Städte, die - wie weite Teile der Türkei - in erdbebengefährdeten Gebieten liegen, sind in den 80er und 90er Jahren schnell gewachsen. Ein großer Teil der errichteten Gebäude wurde von der Bauaufsicht nur unzureichend kontrolliert. Es muß darum davon ausgegangen werden, daß eine große Zahl von Gebäuden aufgrund von baulichen Mängeln nicht erdbebensicher sind. Einen Eindruck von den Problemen gibt ein gerade von der Stadtverwaltung Istanbul (Büyük Sehir Belediye) herausgegebener Bericht. Untersucht wurden 84.586 Gebäude. Davon wurden 6.126 Gebäude (7,24 %) als unproblematisch eingestuft.

Seitens der Stadtverwaltungen im Erdbebengebiet werden immer wieder Beschwerden über mangelnde staatliche Unterstützung geäußert. So konnten vielerorts die Flächen für den Wiederaufbau neuer Stadtteile noch nicht in den Flächennutzungsplänen ausgewiesen werden. Staatliche Bürgschaften für kommunale Bauprojekte werden langsam bearbeitet und gelegentlich aus nicht immer nachvollziehbaren Gründen abgelehnt. In einer Presseerklärung kritisierte der Generalsekretär der CHP Altan Öymen, daß bisher kaum Schritte unternommen wurden, wieder dauerhaften Wohnraum zu errichten und daß er den Eindruck habe, als würden die Fertighäuser als Dauerlösungen betrachtet.

Auf einer Diskussionsveranstaltung in Kocaeli nahm Staatsminister Gemici ausführlich zu den staatlichen Hilfsmaßnahmen Stellung. Er wies darauf hin, daß es angesichts der andauernden Nachbeben eine richtige Entscheidung gewesen sei, zunächst auf Fertighäuser zu setzen und nicht gleich an die Errichtung neuer dauerhafter Bauten zu gehen.

Doch selbst der bisher erreichte Stand bei der Errichtung der Fertighäuser ist unzureichend. So sind nach einer AFP-Meldung in der Region Bolu von 10.000 erforderlichen Fertighäusern erst 5.000 fertiggestellt. Von den 44.160 insgesamt geplanten Fertighäusern ist nach einem Bericht des Roten Kreuzes von Ende Januar ungefähr die Hälfte fertiggestellt. Doch standen Ende Januar noch mehr als 7.500 dieser Fertighäuser leer. Eine Ursache für den Leerstand ist, wie in den türkischen Medien immer wieder berichtet wurde, die Sorge, daß im Falle eines Umzuges sonstige Hilfen gestrichen werden. So standen die Familien vor der Frage, ob sie eine hygienische und winterfeste Wohnung oder Hilfe zum Lebensunterhalt haben wollten. Es war naheliegend, daß sich viele Menschen für die Unterstützung und gegen die Fertighäuser entschieden. Inzwischen ist ein großer Teil der Fertighäuser bezogen.

Die Situation in den Zeltlagern dagegen ist unter Winterbedingungen äußerst schwierig. Bei den vergangenen schweren Regenfällen und Stürmen standen die Zeltlager immer wieder unter Wasser. Durch Campinggasherde entstanden immer wieder Brände, bei denen mehrere Erdbebenopfer zu Tode kamen.

Die Bilanz beider Beben wird wie folgt angegeben:

  • 17.423 Menschen sind gestorben, 43.953 Menschen wurden verletzt

  • 90.307 Gebäude sind eingestürtzt oder wurden schwer beschädigt. Hinzu kommen 14.409 gewerbliche Gebäude, die durch das Erdbeben unbrauchbar wurden.

  • 103.642 Wohngebäude und 15.859 gewerbliche Gebäude weisen mittlere Schäden auf.

 


zuerst 1.03.2000

 

Erdbebenkarte

(März 2000)

 

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