Kurzmeldungen: Alle Kurzmeldungen
Im Regierungslager herrscht keine Einigkeit über die weitere Kurden-Politik. Vordergründig macht sich dies an der Frage fest, ob eine Parlamentsdelegation mit dem inhaftierten Führer der PKK Abdullah Öcalan sprechen soll oder nicht. Dahinter stehen dürften jedoch grundsätzlichere Befürchtungen, dass der Friedensprozess Stimmen kosten könnte. Die Ermittlungen gegen die Metropole Istanbul werden fortgesetzt, obgleich für diese Woche die Vorlage der Anklageschrift erwartet wurde. Die Zentralbank hob ihre Inflationserwartung auf bis zu 33 Prozent zum Jahreswechsel an, hält jedoch an ihrem Ziel von 16 Prozent für das kommende Jahr fest.
Nachdem die PKK im Mai ihre Selbstauflösung verkündete, wurde in türkischen Medien die optimistische Einschätzung verbreitet, dass in den Sommermonaten der Prozess der Entwaffnung abgeschlossen werden könnte. Demgegenüber erklärte die PKK Ende Oktober, dass sie ihre Militanten aus der Türkei abziehen werde. Dies wurde als eine vertrauensbildende Maßnahme betrachtet.
Als im August die Parlamentskommission zur Begleitung des Friedensprozesses ihre Arbeit aufnahm, war geplant, dass sie im August und September Gespräche mit relevanten Personen und Interessengruppen führen werde, um dann im Oktober einen Bericht für das Parlament abzugeben, der die Grundlage für die nötigen Gesetzesänderungen darstellen sollte. Am 4. November erklärte der MHP-Vorsitzende ein weiteres Mal seine Unterstützung dafür, dass eine Gruppe Parlamentarier auch mit dem inhaftierten PKK-Vorsitzenden Öcalan sprechen solle. Es wird davon ausgegangen, dass ein solcher Besuch binnen 14 Tagen stattfinden könnte, wenn denn die Zustimmung der Kommission erfolgt. Der Bericht ans Parlament würde demnach wohl frühestens Ende November fertig gestellt werden.
Derweil hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den Einspruch gegen das Demirtaş Urteil zurückgewiesen. Allein dass die türkische Regierung unmittelbar vor Ablauf der Einspruchsfrist noch Widerspruch einlegte, hatte auf kurdischer Seite Enttäuschung ausgelöst. Mit der Abweisung des Einspruchs ist das Urteil, das eine Freilassung von Demirtaş vorsieht, rechtskräftig geworden. Zwar hätte bereits zuvor die Freilassung veranlasst werden müssen, doch ist damit auch das letzte Argument gegen die Freilassung entfallen.
Obgleich die Befolgung von Urteilen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ebenso zwingend ist wie die des Verfassungsgerichts, wird die Freilassung von Selahattin Demirtaş jedoch vor allem politisch als Geste gegenüber den Kurden diskutiert.
Nach einem Freispruch für den Bürgermeister von Mardin Ahmet Türk im Oktober war erwartet worden, dass ihm sein Bürgermeisteramt zurückerstattet wird. Am 5. November wurde jedoch gemeldet, dass das Innenministerium die Zwangsverwaltung durch den Provinzgouverneur um zwei Monate verlängert hat.
Man kann leicht den Überblick verlieren. Und man kann den Eindruck gewinnen, als ob die Politik nicht in der Öffentlichkeit oder Gremien stattfindet, sondern in den Büros von Staatsanwaltschaften und Gerichtssälen. Vor etwas mehr als einem Jahr wurde der CHP-Bezirksbürgermeister Ahmet Özer verhaftet. Ihm wird die Mitgliedschaft in der PKK vorgeworfen. Im Mittelpunkt steht jedoch die Wahlabsprache mit der CHP und DEM die Unterstützung von Bürgermeisterkandidaten ausgehandelt hatten. Sie nannten dies „Stadt-Konsens“. Es folgten erst in größerem Abstand weitere Verhaftungen. Beşiktaş und Beykoz. Und seit der Verhaftung von Oberbürgermeister İmamoğlu am 19. März in schneller Folge weitere. Welle um Welle wurden mehr als hundert Funktionäre und Beamte festgenommen. Doch als wäre dies nicht genug, wurde Ekrem İmamoğlu sein Hochschulabschluss aberkannt. Es gibt zahlreiche Beleidigungsklagen gegen ihn, ein Korruptionsverfahren aus seiner Amtszeit als Bürgermeister von Istanbul-Beylikdüzü endete mit einem Freispruch. Eine Wikipedia-Seite zu den Strafverfahren gibt ihre Zahl mit zwölf an. Hinzu kommen Verfahren vor zivilen und Verwaltungsgerichten.
Die zivilrechtliche Klage gegen den nationalen CHP-Parteitag 2023 ist abgewiesen, doch in Istanbul besteht nach wie vor das Paradox, dass ein neuer Bezirksvorsitzender gewählt wurde, jedoch der gerichtlich eingesetzte Treuhänder bisher nicht abberufen wurde.
Die CHP reibt sich mit Kundgebungen und Verteidigungen auf. Raum für die Entwicklung politischer Alternativen zur gegenwärtigen Politik scheint es da nicht zu geben. In der Parlamentskommission zur PKK-Auflösung will sie die Vorschläge der Regierung abwarten. Doch welche Sozialpolitik, Industriepolitik, Energiepolitik von einer CHP-Regierung zu erwarten wäre, bleibt dunkel.
Die regierungsnahe Tageszeitung Sabah meldet, dass die Staatsanwaltschaft eine Ermittlungserlaubnis gegen den Oberbürgermeister von Ankara Mansur Yavaş beantragt hat. Sie wirft ihm „Amtsmissbrauch“ vor. Grund ist der Verfall des mit öffentlichen Mitteln errichteten Freizeitparks Ankapark, der zu einem Schaden von drei Milliarden TL geführt habe.
Ankapark gehört zu den wesentlichen Vorwürfen die die CHP gegen den früheren Oberbürgermeister Melih Gökçek erhebt, denen jedoch nie nachgegangen wurde. Der Park wurde von der Metropolverwaltung aufgrund hoher Verluste geschlossen.
Es passiert nicht oft, dass ein Gerichtsverfahren bereits vor seiner Eröffnung alle Instanzen durchlaufen hat. Am 4. November sollte in Ankara das Strafverfahren um den CHP-Parteitag vom November 2023 beginnen. Es geht um den Vorteil, dass das Ergebnis der Vorstandswahl durch Bestechung herbeigeführt wurde. Das Gericht nahm zwar die Anklageschrift an, beschloss dann jedoch, dass die Angelegenheit vor einem Großen Strafgericht verhandelt werden müsse. Doch das Große Strafgericht verwies den Fall zurück. Nach einer Entscheidung des Kassationsgerichtshofs wurde das Verfassungsgericht angerufen. Dies hat im Oktober entschieden, so dass der Fall wieder beim Strafgericht in Ankara landete. Dieses vertagte nun die Angelegenheit, um auf das Urteil des Verfassungsgerichts zu warten und einige Formfragen zu klären.
In der vergangenen Woche stürzte in Gebze (Kocaeli) ein mehrstöckiges Wohnhaus ein. Vier Menschen starben, eine Person konnte gerettet werden. Ein abschließender Bericht über die Ursache liegt zwar noch nicht vor, doch zeichnet sich eine Erklärung ab. Das Gebäude sowie zahlreiche weitere in der Nachbarschaft sind auf Kalkboden gebaut. Verändert sich der Grundwasserspiegel, können sich Hohlräume bilden, die zu Instabilität führen. In der Nähe des Gebäudes befindet sich eine Metrobaustelle. Zur Errichtung des Tunnels wurde das Grundwasserabgepumpt. Vermutlich wurde der Einsturz dadurch verursacht.
Bereits bei der Planung des Tunnels hatte ein Gutachter auf das Risiko aufmerksam gemacht und gefordert, dass die Bauarbeiten von einer kontinuierlichen Überwachung des Bodens begleitet werden müsse. Dies ist unterblieben. Beschwerden der Bewohner betroffener Häuser über Risse in Gebäuden scheinen ebenfalls nicht berücksichtigt worden zu sein.
Mit 2,55 Prozent ermittelte das Türkische Statistikinstitut erneut einen Anstieg der Verbraucherpreise, der unter den Erwartungen lag. Für Istanbul hat die Handelskammer eine Inflation von 3,31 Prozent angegeben. Schaut man auf die Details ergibt sich wieder eine deutliche Abweichung beim Anstieg der Preise für Bekleidung und Schuhe. Doch dieses Mal konzentrierte sich das Echo auf die Präsentation der Inflationsdaten weniger auf deren Glaubwürdigkeit. Seit einigen Monaten hängt die Jahresinflation bei 33 Prozent fest. Ziel für Dezember war 24 Prozent, geschätzt wurden von der Zentralbank maximal 29 Prozent. Doch in ihrem letzten Inflationsbericht für dieses Jahr hat sie die Schätzung auf bis zu 33 Prozent erhöht.
Finanzminister Şimşek steht deutlich unter Druck. Nun machte er einen Vorstoß, dass die staatlich festgesetzten Preise nicht mehr gemäß der zurückliegenden Inflation, sondern an Hand des Inflationsziels für 2026 festgelegt werden sollen. Er nannte dazu beispielsweise den Gaspreis, aber auch kommunal festgelegte Preise wie Nahverkehr und Wasser. Der Vorstoß löste Argwohn aus. Die Vorbereitungen für die Verhandlungen über den Mindestlohn 2026 haben begonnen. Bereits im letzten Jahr hatte der Finanzminister darauf gedrungen, die Steigerung entlang des Inflationsziels vorzunehmen. Da dieses jedoch regelmäßig verfehlt wird, bedeutete eine solche Festlegung zusätzliche Einbußen für die Beschäftigten.
Bei der Beratung des Etats des Finanzministeriums erklärte Minister Mehmet Şimşek, dass sein Ministerium drei Gesetzentwürfe ausgearbeitet habe. Eines beziehe sich auf die Reform der Führung von Staatsbetrieben, ein weiteres auf die Kommunalfinanzen und ein drittes auf die öffentlichen Ausschreibungen. Details zu den drei Projekten stellte er jedoch nicht vor.
Bei seinem Vortrag wehrte er sich gegen den Vorwurf, die derzeitige Finanzpolitik sei sozial ungerecht. Insgesamt liege die Steuerbelastung in der Türkei deutlich unter dem OECD-Durchschnitt. Bei den indirekten Steuern erreiche sie diesen Durchschnitt, nicht jedoch bei den direkten Steuern. Darum sieht er an dieser Stelle Handlungsbedarf.
Vor allem in den Metropolen gehört bezahlbarer Wohnraum zu den drängendsten Problemen breiter Bevölkerungskreise. Nun hat die Regierung Abhilfe versprochen. Der staatliche Wohnungsbaukonzern TOKI soll eine halbe Millionen Sozialwohnungen errichten, die zu günstigen Konditionen an Familien mit geringem Einkommen abgegeben werden sollen. Durch die Erweiterung des Wohnraums soll zugleich die Nachfrage gedämpft und damit der Mietpreisanstieg begrenzt werden.
Grundsätzlich ist das Projekt positiv aufgenommen worden. Gleichwohl gibt es auch Skeptiker. Sie weisen darauf hin, dass es bisher versäumt wurde, ein Budget für die Bauoffensive vorzulegen. Auch ist unbekannt, wo die Gebäude errichtet werden sollen. Allein in Istanbul sollen es 100.000 Wohnungen sein. Raum gibt es dafür in der Innenstadt nicht. Die Größenordnung legt zudem nahe, dass dies eine Überarbeitung des gesamten Flächennutzungsplans der Metropole erforderte. Und dann gibt es noch den praktischen Einwand. In den vergangenen 21 Jahren hat TOKI nicht mehr als 160.000 Sozialwohnungen geschaffen. Beim Wiederaufbau nach dem Erdbeben 2023 war versprochen worden, dass binnen eines Jahres der Wiederaufbau weitgehend abgeschlossen werden sollte. Davon ist man nach wie vor weit entfernt.