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Die Einreichung der Anklageschrift zu den Korruptionsermittlungen bei der Metropole Istanbul erbrachte wenig Neuigkeiten. Intensiv diskutiert wurde außerdem über den Brand in einer Parfümfabrik mit sieben Todesopfern sowie dem Absturz einer Transportmaschine der türkischen Armee mit 20 Todesopfern.
Es ist kein gutes Zeichen, dass die Staatsanwaltschaft bereits mit der Einreichung der Anklageschrift die Strafprozessordnung über den Haufen wirft. Natürlich sind die Ermittlungen gegen die Metropolverwaltung Istanbul von einem besonderen öffentlichen Interesse. Dies gilt umso mehr, als im Mittelpunkt eine Person von besonderem öffentlichem Interesse steht. Dass die Staatsanwaltschaft darum eine Presseerklärung abgibt, um den Abschluss der Ermittlungen und die Fertigstellung der Anklageschrift mitzuteilen, erscheint darum angemessen. Dass die Anklageschrift dann jedoch unmittelbar der Presse zur Verfügung steht, bevor sie gerichtlich geprüft oder gar der Verteidigung zugegangen ist, ist ein offener Rechtsbruch.
In der Anklageschrift steht – obgleich sie mehrere Tausend Seiten umfasst – im Kern wenig Neues. Der Vorwurf lautet, dass Ekrem İmamoğlu bereits während seiner Amtszeit als Bezirksbürgermeister von Istanbul-Beylikdüzü Bestechung entgegengenommen habe. Er habe dazu ein System von Korruption und Geldwäsche entwickelt, das er nach seiner Wahl zum Oberbürgermeister von Istanbul ausgebaut habe. Die Mittel habe er zur persönlichen Bereicherung und für die Finanzierung seiner Kampagne genutzt. Außerdem habe er es eingesetzt, um die CHP unter seine Kontrolle zu bringen.
Dieses Szenario hatte die Staatsanwaltschaft bereits drei Wochen zuvor in der Anklageschrift gegen Aziz Ihsan Aktaş entworfen. Ein Teil der Vorwürfe ist zudem Gegenstand anderer Anklageschriften wie beispielsweise im Strafverfahren wegen des CHP-Parteitags von 2023. Im Korruptionsverfahren gegen Ekrem İmamoğlu wegen Korruptionsvorwürfen in Beylikdüzü ist jüngst ein Freispruch ergangen. Aus der Sicht der Staatsanwaltschaft erscheint dies korrigierbar.
Mit der Vorlage der Anklageschrift gegen Ekrem İmamoğlu ging die Staatsanwaltschaft jedoch noch einen Schritt weiter. Sie stellte Anzeige beim Generalstaatsanwalt am Kassationsgerichtshof. Dieser kann beim Verfassungsgericht ein Verbotsverfahren gegen eine politische Partei einleiten. Die Istanbuler Staatsanwaltschaft stützt ihre Anzeige auf die These, die CHP-Führung habe davon gewusst, dass kriminell erworbene Mittel für die Partei und ihre Kampagnen eingesetzt wurden. Es steht der Generalstaatsanwaltschaft frei, nun Ermittlungen zu beginnen oder die Istanbuler Ermittlungen als Ausgangspunkt für einen Verbotsantrag zu nehmen. Aber die Frage ist auf die Tagesordnung gesetzt worden.
Die neue Anklage richtet sich gegen 402 Personen, die drei Wochen zuvor vorgelegte gegen Aziz Ihsan Aktaş hat nochmals 200 Angeklagte. Die Abarbeitung von Tausenden Seiten Anklage wird Jahre in Anspruch nehmen. Vielleicht wird auch beschlossen, beide Verfahren aufgrund innerer Zusammenhänge zusammenzuführen. Eine einleuchtende Rechtsprechung ist auf dieser Grundlage nicht zu erwarten.
Einfacher wäre es gewesen, einzelne Korruptionsfälle mit überschaubaren Beweisen und einer geringen Zahl von Angeklagten vor Gericht zu bringen. Da es der Staatsanwaltschaft jedoch um den Nachweis einer kriminellen Vereinigung geht, entschloss sie sich für Sammelverfahren. Diese sind jedoch so groß angelegt, dass von einer individuellen Beweisführung nicht mehr ausgegangen werden kann.
Es gibt viele Argumente, die nahelegen, dass das Hauptmotiv der Staatsanwaltschaft nicht rechtlicher, sondern politischer Natur ist. Auch wenn die Anklagen in einigen Jahren zurückgewiesen werden, haben sie die praktischen politischen Ziele bereits erreicht. Es ist zurzeit nicht vorstellbar, wie Ekrem İmamoğlu bis zur nächsten Präsidentenwahl wieder Kandidat werden kann. Und auch wenn die CHP nicht verboten wird, wird ihr Ruf geschädigt und die praktische politische Arbeit beeinträchtigt.
Am 10. November erfolgten zahlreiche Syrien-Gespräche in Washington. Zum einen erfolgte erstmals ein Besuch eines syrischen Staatschefs im Weißen Haus. Zum anderen fand ein Gespräch zwischen den Außenministern der USA, Syriens und der Türkei statt. Nachdem sich die USA bereits bei der UN für die Aufhebung der Sanktionen eingesetzt hatte, wurden auch die US-Sanktionen gegen Syrien ausgesetzt. Inoffiziell wurde von US-Seite erklärt, Syrien werde der Anti-IS-Koalition beitreten. Im Anschluss an das Außenministertreffen wurde zudem auf die Übereinkunft zwischen der syrischen Regierung und den Demokratischen Kräften Syriens vom März 2025 hingewiesen. Nun werde ein konkreter Mechanismus für die Eingliederung der Milizen in die syrische Armee entwickelt.
Details sind bisher nicht bekannt. Es wirkt jedoch so, als ob weitgehende Einigkeit erzielt wurde. Gleichwohl muss man sich daran erinnern, dass es nicht nur um die Zukunft der kurdisch-dominierten Milizen geht, sondern auch die Zukunft der von den Kurden entwickelten Selbstverwaltungsstrukturen. Ob und welche Formeln dafür entwickelt wurden, ist bisher nicht bekannt.
Die Entwicklung könnte neue Bewegung in den Friedensprozess in der Türkei bringen. Gleichwohl sollte man nicht aus den Augen verlieren, dass die türkische Regierung die syrische PYD/YPG stets als Ableger der PKK betrachtet hat. Sie bewertete sie nicht nur als militärisches Sicherheitsproblem, sondern auch als politischen Unsicherheitsfaktor. Demnach bleibt offen, ob die türkische Regierung bereit wäre, ein Fortbestehen der Selbstverwaltungsstrukturen im Norden Syriens zu akzeptieren. Auf diese zu verzichten, hatten die syrischen Kurden bisher ebenfalls ausgeschlossen.
Auf der anderen Seite berichtet Namık Durukan bei der Nachrichtenplattform T24, dass sich Salih Müslim, ein führendes Mitglied der syrischen PYD, positiv über die Übereinkünfte in Washington geäußert hat und diese für in der kommenden Woche beginnende Gespräche zwischen der Autonomieverwaltung und der Zentralregierung den Ausgangspunkt bilden.
In einer Rede hat Staatspräsident Erdoğan die CHP für die Probleme mit der Grundsteuer verantwortlich gemacht. Nun müsse die Regierung nach einer Lösung suchen. Hintergrund ist die hohe Diskrepanz zwischen dem Verkehrswert von Immobilien und dem Wert, mit denen sie im Grundbuch eingetragen sind. Früher wurde die Besteuerungsgrundlage einfach nur entsprechend der Inflation angepasst und blieb darum stets hinter dem realen Verkaufswert zurück. Um dies zu lösen, wurden Kommissionen geschaffen, die den Wert für die Besteuerungsgrundlage schätzen sollen. Wenn der Staatspräsident nun die CHP für die hohen Anstiegsraten bei der Grundsteuer verantwortlich macht, so zielt er vermutlich darauf ab, dass in CHP-geführten Kommunen Bürgermeister den Vorsitz dieser Kommission innehaben.
Betrachtet man die Zusammensetzung der Kommissionen jedoch genauer, ergibt sich ein anderes Bild. Die Kommissionen bestehen aus sieben Mitgliedern. Zwei werden von der Kommune entsandt. Zwei weitere vom Finanzamt. Ein Mitglied kommt vom Katasteramt, das der Zentralregierung untersteht. Ein Mitglied stellt die örtliche IHK, hinzu kommt der Ortsvorsteher. Die Kommune verfügt also nur über zwei der sieben Stimmen. Regierungsbeamte dagegen drei der sieben Stimmen. Geschaffen wurde das System von der AKP.
Es herrscht eine ungewohnte Vielstimmigkeit im Regierungslager. Ausgelöst wird sie nicht zuletzt durch Schlagzeilen in der regierungsnahen Tageszeitung Yeni Şafak. Sie weist nicht nur auf die Risiken eines Gesprächs der Parlamentskommission zum Friedensprozess mit dem inhaftierten PKK-Führer Abdullah Öcalan hin und stellt sich damit gegen den Bündnispartner MHP. Auch in der Wirtschafts- und Finanzpolitik geht die Zeitung eigene Wege. Sie kritisiert Finanzminister Mehmet Şimşek nicht nur wegen hoher Zinsen. Bereits seit einigen Wochen fordert sie eine Ertragssteuer auf Devisengewinne.
Am 10. November wurde die Yeni Şafak dann programmatischer. Sie stellte ein 6-Punkte-Programm vor, mit dem binnen sechs Monaten die Inflation auf 15 Prozent gesenkt werden könnte. Wiederholt wird die Devisenertragssteuer. Außerdem sollen Zinserlöse so hoch besteuert werden, dass sich eine solche Geldanlage nicht mehr lohnt. Dritter Schritt ist die Aufhebung von Mehrwertsteuer und besonderer Mehrwertsteuer auf Kraftstoffe. Dies würde auf zahlreiche Wirtschaftsgebiete ausstrahlen. Sonderzölle auf Importe aus asiatischen Staaten sollen die heimische Industrie schützen. Durch staatlich organisierten Direktverkauf sollen Zwischenhändler wegfallen und auch auf diese Weise Preise gesenkt werden. Die Synergie dieser fünf Maßnahmen werde den Teufelskreis aus Devisenkurs, Zinsen und Inflation brechen.
Im Grunde handelt es sich um eine Neuauflage der Politik, unter die mit Amtsantritt von Mehmet Şimşek ein Schlusspunkt gesetzt wurde. Im Kern wurden die Zinsen weit unter die Inflation gesenkt und damit Sparen bestraft. Die Devisenkurse wurden durch Stützkäufe und die devisenindexierten Sparkonten staatlich gelenkt. Das Ergebnis war eine massiv steigende Inflation. Sollte ein Steuerverzicht beim Kraftstoff nicht kompensiert werden, ginge vom Haushaltsdefizit ein weiteres Inflationsrisiko aus. Ein staatlich gelenktes Direktverkaufssystem weist ein hohes Korruptionsrisiko auf. Erste Versuche, eine staatlich gelenkte Landwirtschaft zu schaffen, haben bisher im Fiasko geendet. Und es stellt natürlich eine gedankliche Herausforderung dar, auf der einen Seite auf exportorientiertes Wirtschaftswachstum zu setzen und auf der anderen Seite eine protektionistische Zollpolitik zu verfolgen.
Ein Brand in einer Parfümfabrik kostete sechs Beschäftigte das Leben. Drei von ihnen waren minderjährig. Wie sich herausstellte, starben sie wohl vor allem deshalb, weil elementare Brandschutzvorschriften nicht eingehalten wurden. Es hatte mehrfach Beschwerden über die Parfümfabrik gegeben, die jedoch folgenlos blieben. Es gibt Fotos des Fabrikbesitzers mit AKP-Politikern. Für manche Grund genug, um zu erklären, warum keine Arbeitssicherheitsuntersuchung stattgefunden hat.
Die Tageszeitung Karar zitiert den Experten für Arbeitssicherheit Sedat Köksal mit der Feststellung, dass die Katastrophe vorprogrammiert war. Er beschreibt kurz die Prozedur zur Eröffnung einer Arbeitsstätte. Sie wird zwar bei der Sozialversicherung und der Kommune registriert, doch einzig das Finanzamt entsendet tatsächlich jemanden, der nachschaut.
Das Argument wirkt einleuchtend. Die Brandkatastrophe vom Hotel Kartalkaya hat zwar gezeigt, dass selbst die Verpflichtung einer Brandschutzprüfung nicht die Gewähr bietet, dass die Vorschriften eingehalten werden. Aber ganz ohne Überprüfung ist das Risiko natürlich ungleich höher.