Istanbul Post

Kurzmeldungen: Alle Kurzmeldungen

Die Woche vom 23. bis zum 30. August 2024

Die Sommerferien neigen sich dem Ende zu, doch auch in der Politik herrscht Bewegung. Der Plan der CHP, eine zweite außerordentliche Parlamentssitzung zum inhaftierten Abgeordneten Cem Atalay zu beantragen, fand keine Zustimmung bei der Iyi Partei. Allein mit den anderen Oppositionsparteien dürfte keine Beschlussfähigkeit erreicht werden. Also wendet sich die Aufmerksamkeit auf den Satzungsparteitag. Derweil hält der Staatspräsident programmatische Reden, in denen er von wachsender Demokratie und rückläufiger Armut spricht. Auch wiederholte er, dass es keinen Unterschied zwischen dem palästinensischen Gaza und dem türkischen Gaziantep gäbe. Er spielt dabei vermutlich auf den Befreiungskrieg an und bringt damit ein weiteres Mal seine These vor, dass es keinen Unterschied zum aktuellen Kampf der Hamas gegen Israel gäbe. War es bis vor kurzem noch üblich, dass die Regierung und ihre Anhänger von abweichenden Stimmen als „marginal“ sprachen, so geraten sie zunehmend selbst in die Rolle „marginaler Kräfte“.

Alle Macht der Basis – die CHP vor ihrem Satzungsparteitag

Im November 2023 setzte sich die „Wandel“-Gruppe beim CHP-Parteitag durch. Der neue Vorsitzende Özgür Özel versprach kurzfristig einen Satzungsparteitag, bei dem der Wandel auch Eingang in die Satzung der CHP finden sollte. Doch die Vorbereitung der Kommunalwahlen verzögerte das Projekt. Seit dem Sieg bei der Kommunalwahl liegt die CHP in Umfragen vor der AKP. Nun tritt der Parteitag vom 4. bis zum 9. September zusammen. Die Vorschläge für die Satzungsänderung wurden auf verschiedenen Ebenen diskutiert und es scheint einen weitgehenden Konsens zu geben. Erwartet wird außerdem, dass in der zweiten Hälfte des Parteitages ein Einstieg in die Programmdiskussion begonnen wird.

Betrachtet man die Berichterstattung über die CHP-Diskussionen, so zeichnet sich als Trend ab, dass die Entscheidungsstrukturen auf eine breitere Basis gestellt werden sollen. Der Vorsitzende wird einige Kompetenzen abgeben und könnte bei der nächsten Parlamentswahl wohl auch nicht mehr für ein Parlamentsmandat kandidieren. Der Vorsitzende konnte bisher die Vorstandsmitglieder selbst bestimmen, nun soll er seine Liste durch den Parteirat bestätigen lassen. Die Kriterien für die Mitgliedschaft werden erweitert. Aktives und passives Wahlrecht soll erst nach einem Jahr nach dem Beitritt und unter der Voraussetzung regelmäßiger Beitragszahlungen erworben werden. Für Kandidatinnen und Kandidaten gelten außerdem weitere Kriterien wie die Teilnahme an Parteischulungen oder –veranstaltungen, die aktive Mitarbeit in Kampagnen oder Wahlkämpfen.

Spannend dürfte zudem die Diskussion über die Kandidatenbestimmung verlaufen. Im Vorfeld gab es viele Verfechter basisdemokratischer Positionen. Ob Parlamentsmandat oder Bürgermeisteramt, die Kandidaten sollten durch Vorwahl bestimmt werden. Zuletzt scheint sich jedoch eine Position durchgesetzt zu haben, die die Entscheidung über das Verfahren zur Kandidatenauswahl auf Vorschlag der jeweiligen Parteigliederung dem Parteivorstand überlässt.

Bedenkt man die zentralstaatliche Struktur der Türkei erscheinen basisdemokratische Positionen als radikal. Ihnen wird ebenso wie bei der Diskussion über die Stärkung kommunaler Autonomie mit Misstrauen begegnet. Und wenn lokale Kräfte das Ergebnis manipulierten? Und kommt es tatsächlich allein auf die Position der Parteibasis an, wenn doch die Kandidaten um die Präferenz aller Wähler kämpfen müssen? Und folgte man uneingeschränkt dem Prinzip der Basisdemokratie, was sollte die CHP dann mit Rechtsaußen-Politikern wie dem Bürgermeister von Bolu anfangen. In seiner Provinz genießt er hohe Unterstützung, auch wenn seine Vorstöße einigen Parteigrundsätzen zuwiderlaufen.

Die Diskussion wird vermutlich nicht mit dem Satzungsparteitag beendet und betrifft im Übrigen alle türkischen Parteien in gleicher Weise. Und dann ist da natürlich noch der Aspekt, dass Verlauf und Ergebnis des Parteitags vor dem Hintergrund der vier Spitzenpolitiker wahrgenommen wird. Bisher versuchen der Vorsitzende Özel, der Istanbuler Oberbürgermeister İmamoğlu, der Ankaraner Oberbürgermeister Yavaş und der frühere Vorsitzende Kılıçdaroğlu einen offenen Konflikt zu vermeiden. Dies ändert jedoch nichts daran, dass sie als Konkurrenten wahrgenommen werden.

Die alte Türkei

Am 25. August hielt Staatspräsident Erdoğan eine Rede. Er verwendete dabei ein häufig von ihm gebrauchte Floskel: „Die Tage der Verbote, des Drucks und der Armut sind auf nimmer wiedersehen vergangen.“ Angesichts der schnell wachsenden Zahl von Sozialhilfeempfängern dürfte es einem bedeutenden Bevölkerungsteil schwer fallen zu glauben, dass die Tage der Armut vergangen sind. Verhaftungen von Interviewpartnern bei Straßeninterviews deuten auch nicht darauf hin, dass der Druck nachgelassen hat. Und die Verbote?

Am selben Tag berichtet das Nachrichtenportal T24 über Amasya. Dort wird ein Lokal mit Alkoholausschank nach dem anderen geschlossen. Denn der Provinzgouverneur hat etwas gegen Alkohol. Der Genuss von Alkohol würde seiner Ansicht nach dem „spirituellen Charakter“ der Tourismusstadt schaden. Folgt man dem Bericht, so werden keine neuen Schanklizenzen erteilt, bestehende aufgehoben. Ein Restaurant, dass sich in einem Gebäude befindet, das der Provinzverwaltung gehört, wurde der Mietvertrag nicht verlängert. Die Betroffenen bewerten das Vorgehen als einen Eingriff in den Lebensstil und glauben, dass diese Politik den Tourismus in Amasya zugrunde richten wird.

Haftbedingungen

Tayfun Kahraman gehört zu den Verurteilten im Gezi Park Protest. Angesichts der Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zu Osman Kavala und des Verfassungsgerichts zu Can Atalay wird man diese Gruppe von Häftlingen als „politische Gefangene“ bewerten können. Trotz verbindlicher Urteile bleiben sie in Haft.

Kahraman wurde in den letzten Tagen zu einer Kontrolluntersuchung in ein Krankenhaus gebracht. Er ist an MS erkrankt und muss diese Untersuchungen regelmäßig durchführen lassen. Dieses Mal wurden ihm über 6,5 Stunden Handschellen angelegt. Auf seine Beschwerde, dass diese so eng angelegt wurden, dass der Blutfluss in den Händen blockiert wird, wurden sie noch enger angelegt. Auch gilt der Grundsatz, dass Vollzugsbeamte bei ärztlichen Untersuchungen den Raum zu verlassen haben. Dies unterblieb.

Seine Frau machte das Vorgehen publik. Der CHP-Vorsitzende Özel erklärte es für inakzeptabel. Doch muss man sich vergegenwärtigen, dass es sich um einen prominenten Gefangenen handelt. Man muss dann davon ausgehen, dass Grundsätze des Strafvollzugs auch bei anderen, weniger bekannten Gefangenen außer Acht gelassen werden. Nur selten hat dies Konsequenzen, in der Regel wird es durch vorgesetzte Dienststellen, die die Untersuchungserlaubnis verweigern oder die Staatsanwaltschaften gedeckt. In diesem Fall beließ es das Oberkommando der dem Innenministerium unterstehenden Gendarmerie nicht dabei, die Behauptung zu dementieren, sondern kündigte eine Strafanzeige gegen die Ehefrau von Kahraman an, die den Vorwurf erhoben hatte. Betrachtet man die kurzfristige Reaktion der Vorgesetzten, haben sie sich nicht viel Zeit zur Prüfung des Sachverhalts genommen. Sie kommen einfach zu der Feststellung, dass gegen keine Rechtsvorschrift verstoßen wurde. Immerhin hat die Staatsanwaltschaft von sich aus Vorermittlungen aufgenommen. Doch für die Aufnahme eigentlicher Ermittlungen bedarf es dann der Zustimmung der Provinzverwaltung.

Landwirtschaftspolitik

Inzwischen finden sich beinahe täglich Nachrichten über Bauernproteste. Ein Bericht in der Tageszeitung Birgün handelt zwar nicht von Protesten, aber von den Problemen der Produzenten von grünen Mandarinen in Bodrum. Bodrum ist nicht nur ein Zentrum des türkischen Tourismus, sondern auch bekannt für die grünen Mandarinen. Doch in diesem Jahr scheint es trotz des Engagements der Kommune Probleme zu geben. Eine Hitzewelle Anfang Juni führte dazu, dass die Bäume die Hälfte der Früchte abgeworfen haben. Angesichts gestiegener Kosten für landwirtschaftliche Chemikalien und andere Kosten decken die von den Aufkäufern gebotenen Preise nicht die Kosten.

Es ist im Grunde dieselbe Geschichte, die mal Tomaten, Wassermelonen und dann Kartoffeln betrifft. Doch nicht nur bei der Pflanzenzucht, auch bei der Viehwirtschaft und Hühnerfarmen gibt es Probleme. Dort melden Fachverbände, dass der Ertrag so gering sei, dass Milchvieh zum Schlachten gebracht und Hühnerzahlen abgebaut werden. Wie bereits mehrfach erlebt führt dies im Zeitraum von einem bis zwei Jahren zu einer starken Verknappung von Milch, Fleisch und Eiern.

Die Landwirte fordern nicht nur höhere Unterstützung, sondern vor allem auch mehr Koordination durch das Landwirtschaftsministerium. Dies wiederum hat ein neues Konzept für die Produktionsunterstützung vorgelegt. Neu ist zunächst, dass vorgesehene Subventionen für den Zeitraum von drei Jahren bekannt gegeben werden. Auf diese Weise soll die Planungssicherheit der Bauern erhöht werden. Außerdem soll bei einigen Produkten zum geplanten Anbau übergegangen werden. Dies bedeutet, dass ein Teil der Subventionen an Auflagen für bestimmte Produkte und Anbaugebiete geknüpft werden. Einige dieser Produkte sind Raps, Sonnenblumenkerne für die Ölproduktion, Kartoffeln und Tierfutter. Die genannten Produkte haben jedoch eines gemeinsam: es handelt sich nicht um leicht verderbliches Gemüse oder Früchte, sondern um lagerbare Produkte. Die aktuellen Bauernproteste jedoch beziehen sich überwiegend auf verderbliche Produkte, die unmittelbar nach der Ernte abgesetzt werden müssen. Eine Antwort auf die aktuellen Proteste kann das Konzept also nicht sein.

Und dann stellt sich natürlich noch die Frage, wie erfolgreich die Produktplanung durch das Ministerium wird.

Besser als nichts?

Einem Bericht in der Tageszeitung Hürriyet zufolge ist ein neues Arbeitsbeschaffungsprogramm geplant. Arbeitslose sollen nach einem kurzen Anlernprogramm drei Tage pro Woche im öffentlichen Dienst beschäftigt werden. Als Tagessatz sollen sie 566 TL erhalten. Die Beschäftigung soll sich auf maximal 10 Monate erstrecken. Einsatzorte sollen Kinderbetreuung, Straßenreinigung, Aufforstung und ähnliche Tätigkeiten sein. Die Mittel für das neue Programm sollen aus dem Arbeitslosengeldfond beglichen werden.

Ob dieses Programm die Vermittlungsfähigkeit von Arbeitslosen erhöht? Wohl kaum. Sollte als Argument angeführt werden, dass sie auf diese Weise sich an einen geregelten Arbeitstag gewöhnen, so unterstellt dies, dass hier ein wesentliches Vermittlungshindernis liegt. Für die Beschäftigung an drei Tagen die Woche erhalten sie in etwa einen halben Mindestlohn. Dies ist besser als nichts und wird viele dazu anspornen, sich für die Teilnahme an dem Programm zu bewerben.

Über den Umfang des Programms werden keine Angaben gemacht, aber es ist naheliegend, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht als „arbeitslos“ geführt werden und damit einen Beitrag zur Verbesserung der Statistik leisten. Sollte es um das Entgelt als Entlastung von Haushalten gehen, wäre das Ziel eher sozialpolitisch anzusiedeln. Dann stellt sich jedoch die Frage, warum Mittel der Arbeitslosenversicherung eingesetzt werden.

Besteht im öffentlichen Dienst in den vorgesehenen Einsatzbereichen tatsächlich ein Bedarf an Arbeitskräften wäre wiederum die Frage zu stellen, warum diese nicht durch reguläre Beschäftigungsverhältnisse gedeckt werden.