Istanbul Post

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Die Woche vom 21. bis zum 28. März 2025

Die Woche verbrachte die Türkei mit einer großen Protestwelle, für Samstag wird eine weitere Großkundgebung in Istanbul geplant. Doch dann folgen neun Tage Feiertage und Ferien. Sollte die Regierung weitere Schritte gegen die Opposition planen, wäre die kommende Woche ein günstiger Zeitpunkt. Auf der anderen Seite sieht es nicht so aus, als ob die Proteste nach der Feiertagspause einfach einschlafen.

Die erste Phase der Proteste

Vom 19. bis zum 25. März fanden jeden Abend Proteste vor dem Sitz der Metropole Istanbul statt. Doch auch wenn die CHP diesen zentralen Protest gegen die Inhaftierung von Oberbürgermeister İmamoğlu nun eingestellt hat, gehen die Demos an vielen Orten Istanbuls und im ganzen Land weiter. Unmittelbar vor den Ramadan-Feiertagen, am 29. März findet eine Großkundgebung in Istanbul-Maltepe statt, bei der die offizielle Kandidatur von Ekrem İmamoğlu für das Amt des Staatspräsidenten bekannt gegeben werden soll. Die CHP betrachtet dies als Abschluss der ersten Phase eines Widerstands, der weit über ihre Parteibasis hinausreicht.

Tatsächlich sieht es nicht danach aus, dass die Proteste aufhören. Sie richten sich auch nicht allein gegen die Inhaftierung İmamoğlus. Sie haben die Universitäten erfasst, in denen sich seit Jahren ein Potenzial von Unzufriedenheit aufgestaut hat. Berichte aus Ankara zeigen jedoch, dass auch ganz andere Gruppen junger Menschen auf die Straßen gehen. Sie fordern eine Zukunft ein, sehen sich an keine Partei gebunden und verlangen Gerechtigkeit und Gleichheit.

Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Konda gibt an, dass 73 Prozent der Befragten die Proteste ganz oder teilweise unterstützen. 65 Prozent betrachten die Verhaftung İmamoğlus als falsch. Dieser hohe Anteil zeigt, dass auch Unterstützer der Regierung diesen Schritt als falsch bewerten.

Dies bedeutet nicht, dass alle über Nacht zu Helden geworden sind und die Einschüchterung durch eine große Zahl von Verhaftungen, durch Gewalt gegen Demonstranten keine Wirkung zeigte. In der Konda-Umfrage gaben 52 Prozent an, die Proteste richtig zu finden, solange sie nicht die öffentliche Ordnung störten. Das Trauma der 1970er Jahre mit ihren Straßenkämpfen und Attentaten wirkt nach – weite Teile der Bevölkerung fürchten sich vor einer Eskalation.

Eskalation und Deeskalation

Unendlich können die Straßenproteste nicht fortgesetzt werden. Noch sind sie aber zu groß, um sie durch frontale Polizeieinsätze zu verhindern. In Istanbul, Ankara und Izmir behält die Provinzverwaltung ihre Demonstrationsverbote aufrecht. Weil sie jedoch nicht direkt durchgesetzt werden können, behilft man sich mit indirekten Mitteln. Ein Ansatzpunkt ist der öffentliche Nahverkehr. Ein anderer ist die physische Sperre von Universitäten, damit die Studenten nicht mehr von dort aus zu den Kundgebungsplätzen gelangen können. Als Einschüchterungsversuch kann wohl bewertet werden, dass zahlreiche Teilnehmende an den Meetings am nächsten Morgen zu Hause festgenommen wurden.

Ein weiterer Weg ist jedoch gefährlicher. Es häufen sich die Berichte über Polizeigewalt im Anschluss an die Meetings. Kleinere Gruppen werden auf dem Nachhauseweg mit Tränengas angegriffen. Ein Video fand einige Beachtung. Ein junger Mann wird von sieben Polizisten in eine Mauernische gedrängt und dort zusammen geschlagen und liegen gelassen.

Staatspräsident Erdoğan wiederum bemüht die Schablonen, die er auch bei den Gezi Park Protesten benutzt hat. Vandalismus, Entweihung von Moscheen und Angriffe auf Polizisten. Dabei sind die veröffentlichen Zahlen von Polizisten, die bei den Demonstrationen verletzt wurden, angesichts der Vielzahl der Ort und ihrer Größe ein deutlicher Hinweis auf den friedlichen Charakter. Es geht vielleicht mehr darum, militantere Anhänger zu mobilisieren, Jagd auf Demonstranten zu machen.

Die CHP wiederholt beständig ihre Aufrufe, sich in keine Konflikte mit der Polizei einzulassen. Schmähparolen gegen den Staatspräsidenten und seine Familie werden strikt zurückgewiesen. Am 24. März traf sich eine Delegation der CHP-Istanbul mit dem dortigen Provinzgouverneur, um die Sicherheit der Demonstrationen zu beraten. Sie machte jedoch auch kein Hehl aus ihrer Position, dass die Demonstrierenden ein verfassungsmäßiges Recht wahrnehmen.

Der Kurden-Konflikt

Für die DEM kommt die Protestbewegung zur Unzeit. Nach dem Aufruf des inhaftierten PKK-Führers Abdullah Öcalan, die PKK aufzulösen, war für das Newroz-Fest am 21. März eine neue Erklärung Öcalans erwartet worden. Sie blieb aus. Die Forderung der PKK nach Sicherheitsgarantien für einen Kongress zur Auflösung der Organisation blieb von der Regierung bisher unbeantwortet. Der Prozess ist ins Stocken geraten.

Am 28. März erklärte der Ko-Vorsitzende der DEM Tuncer Bakırhan, dass die DEM nicht „das Fußvolk der CHP-Proteste“ sei. Sie habe sich an den Protesten nicht wegen İmamoğlu beteiligt, sondern wegen des Versuchs die Bündnispolitik mit der CHP zu kriminalisieren. Sie verfolge eine Tagesordnung, die weit über die Verhaftung İmamoğlus hinausgeht und darauf zielt, gesellschaftlichen Frieden zu erreichen. Der Vorstoß wurde vom MHP-Vorsitzenden Bahçeli positiv aufgenommen. Ihm wie wohl auch der Regierung wird es lieber sein, wenn sich die DEM wieder der Entwaffnung und Auflösung der PKK zuwendet.

Doch legte Bakırhan nach. Am selben Tag erklärte er auch, dass er es nicht richtig findet, auf die demokratischen Kräfte der Türkei einzuschlagen, während ein Friedensprozess mit den Kurden geführt werde.

Lütfü Savaş und die Politik

Lütfü Savaş war bis zur Kommunalwahl 2024 CHP-Bürgermeister von Hatay. Begonnen hatte er seine politische Karriere 2009 als AKP-Kandidat. Als er jedoch von der AKP 2014 nicht erneut aufgestellt wurde, wechselte er zu CHP. Im Vorfeld der Kommunalwahl 2024 gab es intensive Diskussionen über seine erneute Nominierung als Kandidat. Hintergrund war das Erdbeben von .6. Februar 2023, bei dem Hatay stark zerstört wurde. Sowohl die Verantwortung für die Bausünden, die zum Ausmaß der Katastrophe beitrugen als auch seine Performanz nach dem Erdbeben führten zu starken Einwänden. Er wurde trotzdem erneut aufgestellt, wurde jedoch nicht wiedergewählt.

Savaş gehört zu denjenigen, die behaupten, der CHP-Parteitag vom November 2023, bei dem Özgür Özel zum Vorsitzenden gewählt wurde, sei durch Bestechung manipuliert worden. Dass diese Vorwürfe jedoch erst mehr als ein Jahr nach dem Parteitag erhoben wurden, trägt nicht zur Glaubwürdigkeit des Vorwurfs bei.

Unter dem Eindruck der Verhaftung von Ekrem İmamoğlu hat Özgür Özel für den 6. April einen außerordentlichen Parteitag einberufen. Durch die Neuwahl des Vorsitzenden soll einem möglichen gerichtlichen Absetzungsbeschluss und der Einsetzung eines Zwangsverwalters zuvorgekommen werden. Nun hat Savaş Klage gegen die Einberufung des außerordentlichen Parteitags erhoben. Da Özel nicht rechtmäßig gewählt sei, könne er auch keinen Parteitag einberufen…

Die CHP verfügt über 1,7 Mio. Mitglieder, von denen sich mehr als 1,4 Mio. an der Vorabstimmung zur Nominierung des Präsidentschaftskandidaten beteiligten. Am Tag nach dieser Abstimmung zu einem Gericht zu gehen, und den Vorstand der Partei, der dieses Ergebnis vorbereitet hat, absetzen zu wollen, wirkt unpolitisch.

Es rächt sich, wenn eine politische Partei einen Politiker, der innerlich mit ihr nicht verbunden ist, aus rein taktischen Gründen nominiert. Es zeigt außerdem, wie wenig die Meinung der Bevölkerung für einige Politiker zählt, obgleich sie vorgeben, in ihrem Namen zu sprechen. Und dann kann es durchaus sein, dass ihm für diesen Dienst etwas in Aussicht gestellt wurde… Doch sollte es tatsächlich ein Angebot geben, so zeigt es wiederum nur das elitäre Verständnis eines Teils der türkischen Politik.

Die wirtschaftlichen Auswirkungen

Unmittelbar nach der Verhaftung von Ekrem İmamoğlu reagierten die Finanzmärkte heftig. Die Börse Istanbul verzeichnete hohe Verluste, die Türkische Lira verlor stark an Wert und die Zinsen auf Staatsanleihen sowie die Risikoversicherung CDS stiegen stark an. Durch Interventionen der Zentralbank konnten die Devisenkurse wieder auf das Niveau vor der Verhaftungswelle zurückgeholt werden. Die Finanzmarktaufsicht SPK änderte für den Zeitraum eines Monats einige Regeln, um einem weiteren Kursverfall an der Börse zuvorzukommen. Dazu trug neben dem Verkauf von Devisen auch die verdeckte Zinserhöhung der Zentralbank bei. Diese ließ zwar den Leitzins unangetastet, gibt den Banken jedoch Gelder nicht zum Leitzins von 42,5 Prozent, sondern zu 46 Prozent.

Eine erste Folge der Gegenmaßnahmen ist ein Rückgang der Zentralbankreserven. Eine zweite Folge ist, dass die von der Industrie erhoffte weitere Zinssenkung im April vermutlich ausfällt. Eine weitere Folge ist, dass die Banken aufgrund der höheren Kosten auch die Kreditzinsen an ihre Endkunden erhöhen. Die Wirtschaftsplattform ekonomim berichtet außerdem über schleppende Kreditvergabe, die zu Störungen in den Zahlungsflüssen der Unternehmen führt. Beunruhigung herrscht außerdem bei den Exporteuren, die davon berichten, dass sie Anrufe von ihren internationalen Kunden erhalten, die wissen wollen, ob ihre Bestellungen gesichert sind. Die Verunsicherung der internationalen Kunden könnte zu Absagen oder ausbleibenden Neuaufträgen führen.