Kurzmeldungen: Alle Kurzmeldungen
Nachdem ein TÜSIAD-Funktionär die Justiz kritisierte, wird gegen ihn ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Es wirkt, als suche insbesondere der Justizminister solche Vorwürfe, die er als absurd charakterisiert, zu untermauern. Desinformation und Beeinflussung der Justiz sind die Vorwürfe, doch sind diese selbst durch eine großzügige Auslegung der Gesetzestexte nicht gedeckt.
Am Wochenende trafen Journalistenverhaftungen die linke Tageszeitung Birgün. Wegen eines Berichts wurden drei Mitglieder der Redaktionsleitung festgenommen. Der Bericht enthielt den Besuch des leitenden Staatsanwalts der Provinz Istanbul beim Nachrichtenkoordinator der regierungsnahen Tageszeitung Sabah. Dieser hatte zum Bericht in der Birgün erklärt, dass er dadurch zur Zielscheibe für Terrororganisationen gekommen sei.
Jenseits der Frage, ob eine Festnahme angemessen ist, bleibt anzumerken, dass dank der Erfindung des Impressums die leitenden Köpfe von Tageszeitungen bekannt sind. Zur Geheimhaltung des Besuchs trug außerdem nicht bei, dass der Nachrichtenkoordinator ein Foto des Besuchs auf sozialen Medien sendete und seine Zeitung darüber berichten ließ.
Ebenfalls interessant ist, dass die Staatsanwaltschaft nach eineinhalb Jahren Ermittlungen zum Wahlparteitag der CHP eingeleitet hat. Zuvor hatte Staatspräsident Erdoğan (nicht zum ersten Mal) von einem „verdächtigen“ Kongress gesprochen, bei dem der frühere Parteichef unter fragwürdigen Bedingungen abgesetzt wurde. Die Sache wurde nicht besser dadurch, dass der frühere Vorsitzende Kemal Kılıçdaroğlu ebenfalls wieder vom „Dolchstoß“ zu sprechen begann. Wurde ihm während seiner Präsidentschaftskandidatur ein Auftritt beim staatlichen Sender TRT verweigert, erhielt er nun Sendezeit, in der er die heutige Parteiführung zur Stellungnahme aufforderte. Auf die Nachricht von der Aufnahme einer staatsanwaltlichen Ermittlung ließ Kılıçdaroğlu nun erklären, dass er keine Aussage machen werde. Bleibt natürlich die Frage nach dem erforderlichen „hinreichenden Anfangsverdacht“ für die Aufnahme staatsanwaltlicher Ermittlungen.
Und dann erfolgte noch eine Verhaftungswelle gegen CHP-Kommunalpolitiker in Istanbul, darunter zwei Vizebürgermeister. Insgesamt wurden zehn Personen verhaftet. Die Staatsanwaltschaft begründet dies mit Ermittlungen zum „Stadtkonsens“, einer Strategie der DEM im vergangenen Kommunalwahlkampf. Auf dieser Basis wurden in zahlreichen Städten gemeinsame Kandidatenlisten erstellt. Die Staatsanwaltschaft Istanbul wiederum führt einige Zitate führender PKK-Funktionäre an, die die Strategie des Stadtkonsenses unterstützen. Sie folgert aus diesen Erklärungen, dass die Initiative für diese Politik von der PKK ausgegangen sei. Betrachtet man jedoch die angeführten Zitate, so wird darin ausgedrückt, dass eine Politik der DEM unterstützt wird…
Dem Haftrichter machte dies jedoch nichts aus. Alle zehn Personen wurden inhaftiert.
Der Verein türkischer Unternehmer und Industrieller TÜSIAD, der die größten Unternehmen der Türkei vereinigt, hat seine Jahreskonferenz durchgeführt. Während TÜSIAD zu Beginn der AKP-Ära die Politik mit hochwertigen Studien zu einzelnen Politik- und Wirtschaftsfeldern begleitete, zog der Verein es vor, sich in der zweiten Dekade der AKP-Regierungen zurückzuhalten. Man kann es ihnen nachsehen – die Mitglieder sind in erster Linie Geschäftsleute und keine Aktivisten. Und die Regierung hatte in den letzten Jahren stets deutlich gemacht, dass sie Kritik nicht schätzt und dies gegebenenfalls geschäftsschädigend sein könnte.
Bei dieser Jahreskonferenz jedoch fand der Vorsitzende des Beratungsrates Ömer Aras deutliche Worte. Er wies auf die Beunruhigung angesichts der jüngsten Entwicklungen hin. Wies auf das schwindende Vertrauen in die Justiz hin. Sollte Haft letztes Mittel sein, sei sie heute (in politischen Sachverhalten) zur Regel geworden. Auch merkte er an, dass es angesichts der zunehmenden Bandenkriminalität den Anschein habe, dass die Gründung einer kriminellen Vereinigung einfacher sei als ein Geschäft zu gründen.
Das Echo blieb nicht aus. Der Justizminister, der AKP-Parteisprecher und der Vizepräsident äußerten sich. Man wisse ja über die Makel im demokratischen Führungszeugnis des Vereins. Die Zeit, in der irgendwelche Organisationen es sich anmaßen konnten, die Souveränität der vom Volk gewählten Regierung bevormunden zu wollen, sei vorüber.
Rhetorisch ist das Vorgehen sehr plump. Schwärze einen Kritiker an, um dich nicht mit seinen Argumenten auseinandersetzen zu müssen. Und die Volkssouveränität als Freifahrtsschein anzusehen, bei der das Volk nur bei der Stimmabgabe eine Rolle spielt, hat nicht wirklich etwas mit Demokratie zu tun.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass am Tag nach der Rede Ermittlungsverfahren gegen Ömer Aras eingeleitet wurden. Die Staatsanwaltschaft will nun feststellen, ob die Tatbestände „Beeinflussung der Justiz“ und „öffentliche Verbreitung von Falschinformation“ erfüllt seien. Immerhin wurde er bisher nicht festgenommen.
Die CHP wird ihren Präsidentschaftskandidaten durch Vorwahlen bestimmen. Dies wurde vom Parteirat beschlossen, nachdem es bereits eine Woche zuvor vom Parteivorsitzenden Özel angekündigt wurde. Am Tag vor der Entscheidung traf er sich mit den beiden aussichtsreichsten Kandidaten, Ankaras Oberbürgermeister Yavaş und Istanbuls Oberbürgermeister İmamoğlu. Letzterer befürwortet die Entscheidung unverzüglicher Vorwahlen, letzterer lehnt sie ab. Nun lässt Mansur Yavaş durchblicken, dass eine Entscheidung zwischen ihnen unnötig sei. Beide könnten antreten und in der späteren Stichwahl werde sich einer durchsetzen, der andere Vizepräsident.
Die Vorwahlen am 23. März 2025 werden also vermutlich nichts anderes sein als eine Formalität. Ein Zweck der Vorwahlentscheidung war es, den Eindruck der Zersplitterung bei der CHP aufzuheben. Eine Zersplitterung zwischen dem Vorsitzenden und zwei Präsidentschaftskandidaten. Mit der aktuellen Entwicklung wird dies nicht erreicht. Und es stellt sich schon die Frage, warum sich die drei nicht getroffen haben, bevor die Entscheidung für Vorwahlen verkündet wurde.
Zudem hatte sich die CHP Hoffnungen gemacht, dass die Vorwahl ein Signal für die Bereitschaft für vorgezogene Wahlen sein könnte. Bei einer Wahl ohne wirklichen Gegenkandidaten könnte dies ausbleiben.
Zudem könnte die Politik komplizierter werden. Die Präsidentenwahl ist eine Personenwahl. Ekrem İmamoğlu wird zum einen als Kandidat der CHP ins Rennen gehen und zum anderen seine Projekte vorstellen. Es heißt, er habe zur Vorbereitung seines Wahlprogramms ein umfangreiches Team. Und dann gibt es da noch eine CHP, die vermutlich ebenfalls ein Wahlprogramm entwickeln wird. Sie muss ja schließlich die Parlamentswahl gewinnen. Da wird es dann wohl zwei parallele Programmstrukturen geben. Bei der AKP war dies bisher nie ein Problem. Sie ist spätestens seit dem Übergang zum Präsidialsystem eine reine Führerpartei. Er und seine Präsidialverwaltung geben die Programme vor und die Partei folgt. In der CHP gibt es mindestens zwei Spitzen – sollte Mansur Yavaş kandidieren, drei Spitzen. Funktionieren kann so etwas nur, wenn es keine spontanen Alleingänge der drei Akteure gibt, sondern sie vor jeder Initiative die Abstimmung suchen. Bisher ist dies nicht erfolgt.
Bei einer Veranstaltung in der Schweiz hat der Ministerpräsident Armeniens Nikol Paschinjan vermutlich einige Verärgerung in der armenischen Diaspora ausgelöst. Er rief zu zwei internationalen Untersuchungskommissionen zum Völkermordvorwurf an den Armeniern im Ersten Weltkrieg auf. Eine Kommission solle sich auf den Vorfall selbst konzentrieren, die andere auf die Entwicklungen, die erst ab den 1950er Jahren dazu führten, die Anerkennung der Deportationen als Völkermord zu fordern.
Man könnte mit den Schultern zucken. Rechtlich findet sich „Völkermord“ erst seit den Nürnberger Prozessen nach dem Zweiten Weltkrieg. Als Kriegsverbrechen dagegen waren die Deportationen tatsächlich Gegenstand von Prozessen der Alliierten gegen die Führung des Osmanischen Reichs. Es handelt sich jedoch nicht allein um eine juristische, sondern ebenso um eine politische Frage. Die Analyse der verschiedenen Interessen, die mit der Völkermord-These verbunden sind, ermöglicht vielleicht aus dem Teufelskreis auszubrechen und eine Erinnerungskultur zu entwickeln.
Die EU hat das Institut Mc Kinsey beauftragt, einen Bericht über Textilabfälle in der Union zu erarbeiten. Das Institut kommt darin zu dem Schluss, dass jährlich 8,5-9 Mio. Tonnen Textilabfälle anfallen. Rund die Hälfte wird jedoch von der EU exportiert. Eines der Zielländer ist die Türkei. Doch obgleich die Türkei ein wichtiger Exporteur von Textilien ist, verfügt sie nicht über die Kapazitäten zum Recyceln, so dass damit zu rechnen ist, dass sich ähnlich wie in anderen Zielländern dieses Abfallexports Müllberge bilden werden.
Dabei stellt sich natürlich die Frage, wie sich trotz dieses Wissens solche Exporte mit den Nachhaltigkeitsprinzipien der EU vereinbaren lassen. Aus türkischer Sicht gibt es zudem die Erfahrung mit dem Import von Plastikmüll, der nicht unbedingt als Erfolgsstory betrachtet werden kann.
Bei der Präsentation des ersten Inflationsberichts in diesem Jahr charakterisierte Zentralbankpräsident Karahan Inflationsschätzungen von 30 Prozent für dieses Jahr als „Aberglaube“. Er wollte damit wohl unterstreichen, wie wenig Grundlage zu einer solchen Schätzung besteht. Gleichwohl hatte die Zentralbank noch bis im Herbst 2024 die Jahresinflation für 2024 auf 14 Prozent geschätzt. Dann hob sie ihren Schätzwert (der in der Öffentlichkeit als Zielwert verstanden wird) auf 21 Prozent an. Und im aktuellen Inflationswert liegt diese Schätzung bereits bei 24 Prozent. Die letzte Umfrage der Zentralbank unter Finanzmarktexperten kommt auf einen Durchschnittswert von 28,3 Prozent. Zu mehr Vertrauen dürfte der Ausbruch des Zentralbankpräsidenten nicht geführt haben.