Istanbul Post

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Die Woche vom 4. bis zum 11. April 2025

Mit dem außerordentlichen Parteitag hat die CHP Geschlossenheit demonstriert, während sich in den Meinungsumfragen abzeichnet, dass das Vorgehen gegen Ekrem İmamoğlu und gegen die Proteste von breiten Bevölkerungskreisen abgelehnt wird. Die Unterstützung der Regierungsparteien geht zurück. Mit der Entscheidung, einen großen Teil der in Untersuchungshaft einsitzenden Studenten freizulassen, wird die Spannung etwas verringert. Zugleich wird nach einem Gespräch des Staatspräsidenten mit einer Delegation der DEM die Erwartung geweckt, dass es noch in diesem Monat eine Entwicklung in der Kurden-Politik geben könnte.

Özgür Özel erneut zum CHP-Vorsitzenden gewählt

Ein anderes Ergebnis hätte überrascht. Der Beschluss zum außerordentlichen Parteitag war unmittelbar nach der Verhaftung von Ekrem İmamoğlu gefasst worden. Özgür Özel trat entschieden für die Fortsetzung der Vorwahl des Präsidentschaftskandidaten ein, obgleich Ekrem İmamoğlu als einziger Kandidat nach der Aberkennung seines Hochschulabschlusses und seiner Inhaftierung zunächst nicht Kandidat sein kann. Mehr als 90 Prozent der CHP-Mitglieder stimmten für İmamoğlu, außerdem noch Millionen von Nicht-Mitgliedern. So sehr dies auch Stimmen für İmamoğlu waren, so bestätigten sie auch die von Özel geführte Politik.

Die Entscheidung für den außerordentlichen Parteitag war gefasst worden, nachdem die Staatsanwaltschaft Ermittlungen wegen des Parteitages vom November 2023 begonnen hat, bei dem Özel erstmals zum Vorsitzenden der CHP gewählt wurde. Er sollte einerseits weiteren gerichtlichen Querschüssen wie die Annullierung der Wahl Özels einen Riegel vorschieben, andererseits aber auch die Geschlossenheit der Partei angesichts der massiven Strafverfolgung gegen die CHP demonstrieren.

Betrachtet man das Ergebnis – Özel erhielt alle gültigen Stimmen der Delegierten – scheint dies gelungen zu sein. Reibungslos verlief der Parteitag gleichwohl nicht. Zunächst hatten zwei Delegierte Interesse gezeigt, ebenfalls für den Vorsitz zu kandidieren. Einer zog seine Kandidatur zurück. Ein anderer reichte seine Stützunterschriften nicht fristgemäß ein. Daraufhin stellte er Özel wutentbrannt zur Rede und erklärte, dass bei dessen Wahl die Frist zur Kandidatenaufstellung nicht um fünf Minuten, sondern um zwei Stunden verlängert worden sei.

Eine überflüssige Szene. Die Verlängerung einer Frist muss in der Regel beantragt werden. Wird ein solcher Antrag angenommen, wird dies bekannt gegeben. Es würde eigentümlich wirken, wenn ein Wahlleiter nach Ablauf der Frist „einfach so“ einen Antrag durchwinkt. Dem chancenlosen Gegenkandidaten muss dies bekannt gewesen sein. Für die 105 ungültigen Stimmen waren vermutlich seine Anhänger verantwortlich. Wollten sie ein Zeichen setzen? Wenn ja – welches?

Deutsche Bürgermeister mahnen demokratische Standards an

Am 8. April fand auf Einladung der Union der türkischen Kommunen in Istanbul eine deutsch-türkische Städtepartnerschaftskonferenz statt. Durch die Verhaftung von Ekrem İmamoğlu, der nicht nur Oberbürgermeister Istanbuls ist, sondern auch Vorsitzende der Union türkischer Kommunen, hat die Veranstaltung natürlich einen ganz anderen Charakter angenommen, als ursprünglich geplant. Unter den angereisten deutschen Partnerstädten befanden sich die Bürgermeister von Berlin, Köln und Hannover. Der Berliner Bürgermeister Kai Wegner stellte sich hinter İmamoğlu und bewertete die Proteste der letzten Woche als Kampf für Demokratie. Die Kölner Bürgermeisterin Henriette Reker verwies auf die gemeinsamen demokratischen Werte, die nun gefährdet seien. Hannovers Bürgermeister Belit Onay forderte, dass ein Staat die demokratische Wahl der Menschen respektieren muss.

Am gleichen Tag beschloss außerdem der Rat von Paris, Ekrem İmamoğlu die Ehrenbürgerschaft zu verleihen.

Deutliche Worte fand auch der Türkei-Berichterstatter des Europaparlaments Nacho Sanchez Amor nach der Beratung des außenpolitischen Ausschusses über die Türkei-Beziehungen: „Wir hören ständig von der türkischen Führung von ihrer Entschlossenheit für einen EU-Beitritt und wie wichtig es für uns aufgrund von Sicherheit und Geopolitik ist, diesen Prozess wiederzubeleben. Aber sie haben es falsch verstanden. Mitgliedschaft beruht auf Demokratie und je mehr sie sich in Richtung Autoritarismus bewegen, umso mehr entfernen sie sich von einer EU-Mitgliedschaft.“

Massenanklagen wegen Demonstrationen

Knapp 300 Studenten sind in den vergangenen zwei Wochen eingesperrt worden, weil sie an den Protesten gegen die Verhaftung von Ekrem İmamoğlu teilgenommen haben. Nun wurde in 20 Ermittlungsverfahren gegen 819 Personen Anklage erhoben. Sie hätten an einer verbotenen Demonstration teilgenommen und seien der Aufforderung der Polizei zur Auflösung der Versammlung nicht gefolgt. Das Strafmaß reicht von einem bis drei Jahren Gefängnis. Unter den Angeklagten befindet sich auch der Großteil der Studenten, die zurzeit in Untersuchungshaft sitzen.

Die Rechtmäßigkeit des generellen Demonstrationsverbotes ist umstritten. Es gibt Urteile des Verfassungsgerichts, die den Provinzverwaltungen hohe Auflagen für den Erlass eines solchen Verbotes machen. Dass diese Auflagen nicht erfüllt wurden, ist offensichtlich. Warum beim gleichen Strafvorwurf 500 Personen ohne Inhaftierung angeklagt werden, für knapp 300 jedoch Untersuchungshaft angeordnet wird, ist nicht erklärbar. Zudem ist nicht diese Untersuchungshaft nicht erklärbar, weil die meisten von ihnen erstmals angeklagt werden. In diesem Fall ist selbst im Falle einer Verurteilung Praxis, die Strafe zur Bewährung auszusetzen. Sie würden also selbst in diesem Falle keinen Tag in Haft verbringen. Es scheint jedoch ein gewisses Einlenken bei der Justiz zu geben. Am 10. April wurden immerhin mehr als 100 inhaftierte junge Leute aus der Haft entlassen.

Die Anklage zeigt zudem, in welchem Maße Hetze betrieben wird. Der Bildungsminister erklärt, dass Personen, die Polizisten mit Säure und Äxten angreifen, natürlich angeklagt werden müssen. Gegen die aktuell 819 Personen wird dieser Vorwurf nicht erhoben.

Und dann ist da noch die nächste Welle der Repression in Vorbereitung. Der Hohe Hochschulrat hat die Universitäten angewiesen, disziplinarisch gegen die Proteste vorzugehen. Dies betrifft Studenten wie Lehrtätige und kann bis zum Ausschluss reichen.

Verhandlungen mit der PKK kurz vor der Entscheidung

Am 10. April trafen die beiden DEM-Politiker Sırrı Süreya Önder und Pevin Bulvan mit Staatspräsident Erdoğan zusammen. Außerdem nahmen der AKP-Politiker Ala sowie der Geheimdienstchef Kalın an dem Gespräch teil. Ala hatte bereits vor dem Gespräch erklärt, dass er zum Monatsende eine wichtige Entwicklung erwartet. Die DEM-Delegation teilte mit, dass das Gespräch konstruktiv und positiv verlaufen sei und große Hoffnung auf eine Lösung besteht. Über den Inhalt des Gesprächs wurden jedoch keine Angaben gemacht.

Die türkische Regierung hat mehrfach deutlich gemacht, dass sie eine kurzfristige Entscheidung der PKK zum Auflösungsaufruf ihres inhaftierten Vorsitzenden Abdullah Öcalan erwartet. Gleichzeitig versucht sie jeden Anschein zu vermeiden, dass sie Verhandlungen mit der PKK führt, sondern eine bedingungslose Kapitulation erfolgen müsse. Gleichzeitig signalisiert sie, dass nach der Auflösung positive Schritte erfolgen könnten.

Die Türkei und die US-Zollpolitik

Weltweit richtete sich in dieser Woche die Aufmerksamkeit auf den beginnenden Handelskrieg der USA mit dem Rest der Welt. Auf die Ankündigung von Schutzzöllen reagierten die übrigen Länder unterschiedlich. Einige verhängten Gegenzölle, andere suchten Verhandlungen. Dies mündete auf amerikanischer Seite in die Aussetzung der Extrazölle für zahlreiche Länder. Demgegenüber eskalierte der Handelskonflikt zwischen den USA und China. Hier folgten mehrere Zölle und Gegenzölle.

Internationale Organisationen rechnen damit, dass der Handelskrieg Folgen für den Welthandel und das weltweite Wirtschaftswachstum haben wird. Zudem ist ein steigender Inflationsdruck zu erwarten. Verbunden mit den sinkenden Wachstumserwartungen ging der Öl-Preis zurück. Auf den Finanzmärkten wurde der Dollar gegenüber dem Euro geschwächt, weltweit verzeichneten die Börsen hohe Kursverluste.

Wie lange und in welcher Breite der Konflikt fortgeführt wird, ist bisher nicht absehbar. Darum lassen sich die Folgen für die einzelnen Länder auch nicht wirklich einschätzen. Da die USA unterschiedlich hohe Schutzzölle verhängt haben und sich die Türkei in der Gruppe der Länder mit geringeren Zollzuschlägen befindet, könnten sich für die türkische Industrie in den USA neue Möglichkeiten eröffnen. Auf der anderen Seite wird erwartet, dass China versuchen wird, die bisher für den US-Markt bestimmten Produkte auf neuen Märkten zu verkaufen. Die könnte zu einem Preiswettbewerb führen. Positiv für die Türkei wäre, dass sich dadurch Importe verbilligen könnte. Für ihre Exporte jedoch entsteht zusätzlicher Wettbewerbsdruck.

Zudem tritt dies zu einem für die türkische Wirtschaft recht ungünstigen Zeitpunkt auf. Durch die innenpolitischen Spannungen waren die türkischen Finanzmärkte ohnehin geschwächt. Um einer Flucht in- und ausländischer Anleger in Devisen zu begegnen, hält die türkische Zentralbank nach wie vor den Kurs der Türkischen Lira stabil. Dafür setzt sie in großem Stil Reserven ein. Wie lange sie dies fortsetzt, bleibt unklar. Das letzte Mal hatte der Politikwechsel im Sommer 2023 zu einem schweren Wertverlust der Türkischen Lira geführt.