Istanbul Post

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Die Woche vom 24. bis zum 31. Oktober 2025

Die Anklage im Korruptionsverfahren gegen die Metropole Istanbul war für Oktober angekündigt worden. Nun wird sie für die kommende Woche erwartet. Auch beim Friedensprozess geht es langsamer voran – die Beratungen über den Zwischenbericht der Parlamentskommission haben noch nicht begonnen. Man bekommt den Eindruck, dass die Parteien zögern, sich festzulegen.

Die Anklage nimmt Form an

Mit der Anklage gegen den Geschäftsmann Aziz Ihsan Aktaş in der vergangenen Woche wurde der Begriff „verbrecherische İmamoğlu Vereinigung“ eingeführt. Als Straftatbestand umfasst dies eine kriminelle Organisation, die aus mehr als drei Personen besteht, über eine Rollenverteilung und häufig auch eine Hierarchie verfügt und ein oder mehrere kriminelle Ziele verfolgt. Benennt man sie nach einer Person, so wird in der Regel unterstellt, dass diese die Vereinigung führt. In den Erklärungen der Staatsanwaltschaft zur Spionageermittlung gegen Ekrem İmamoğlu wird weiter ausgeführt, dass diese kriminelle Vereinigung sich „rechtswidrig die Kontrolle über die CHP“ angeeignet hat und darauf zielte, Mittel für die Präsidentschaftskampagne İmamoğlus zu beschaffen. Damit schlägt die Staatsanwaltschaft die Brücke zum Strafverfahren wegen des CHP-Parteitags 2023, zu den zahlreichen Ermittlungen in der Metropolverwaltung Istanbul und den Istanbuler Stadtbezirken bis hin zur aktuellen Spionageermittlung. Dies führt dann zu einem Strafverfahren, in dem hunderte von Strafbehauptungen mit mehr als hundert Beschuldigten zu prüfen sind. Die Ähnlichkeiten zu den Ergenekon- und Balyoz-Strafverfahren vor 15 Jahren nehmen damit zu.

Bei den Ergenekon und Balyoz Strafverfahren war von 2007 an in mehreren Wellen gegen verschiedene Personenkreise vorgegangen worden. Balyoz führte zur Inhaftierung zahlreicher hoher Militärs, Ergenekon zur Inhaftierung von Journalisten, Intellektuellen, aber auch Repräsentanten des bis zu diesem Zeitpunkt dominierenden Laizismusverständnisses. Der Kernvorwurf war, es gäbe eine kriminelle Ergenekon-Vereinigung, die durch Terroraktionen ein Klima schaffen wollte, das einen Militärputsch rechtfertigte. Der Schlusspunkt wurde 2019 gesetzt, als der Kassationsgerichtshof feststellte, dass für die Existenz von Ergenekon keine Anhaltspunkte gefunden werden konnten. Das Balyoz Verfahren fiel nicht zuletzt durch den Beweis, dass wesentliche Beweisstücke gefälscht und Beweismittel illegal erhoben wurden.

Betrachtet man das rechtliche Ergebnis, so mussten die Anklagen fallen gelassen werden. Ruft man sich jedoch die politischen Wirkungen ins Gedächtnis, so wurde mit diesen Verfahren die politische Rolle des Militärs gebrochen. Die massiven Eingriffe in die Justiz und Sicherheitskräfte führten jedoch auch zum Putschversuch von 2015, in dessen Folge zahlreiche Akteure, die zuvor im Namen der Regierung handelten, eliminiert wurden. Balyoz, Ergenekon und der Putschversuch wiederum bereiteten den Boden für das türkische Präsidialsystem. Obgleich die Ergenekon und Balyoz Verfahren juristisch gescheitert waren, hatten sie weitreichende politische Folgen.

Zu den Ähnlichkeiten gehört das Vorgehen in Verhaftungswelle mit immer neuen Tatvorwürfen, neuen Anklageschriften und der Kreation eines allumfassenden kriminellen Netzwerks. Es gibt jedoch auch bedeutende Unterschiede. Mit der Machtübernahme 2002 übernahm die AKP zum einen ein umfassendes Wirtschaftsprogramm, das sehr schnell aus der Krise von 2001 herausführte. Es gab eine breite gesellschaftliche Mehrheit, die für eine Änderung des repressiven Laizismusverständnisses eintrat und eine Ablehnung gegen die politische Bevormundung durch die Militärführung. Eine gesellschaftliche Unterstützung der aktuellen Maßnahmen gegen die CHP kann dagegen nicht festgestellt werden. Die wirtschaftliche Performanz des Präsidialsystems hat viele frühere Unterstützer ernüchtert. Umfragen zeigen eine bedeutende Mehrheit, die für eine Rückkehr zur parlamentarischen Demokratie ist. Trotz massiver Propaganda ist es zudem nicht gelungen, die Mehrheit der Bevölkerung von den Vorwürfen gegen İmamoğlu und die CHP-Bürgermeister zu überzeugen.

In dieser Woche behaupten mehrere Kolumnisten, dass die Hauptanklage im Verfahren gegen die Metropole Istanbul „in der ersten Novemberwoche“ vorgelegt werde. Dies wäre in der kommenden Woche.

Engere Zusammenarbeit

Am 30. November führte Bundeskanzler Merz seinen ersten Türkei-Besuch durch. Eine Woche zuvor war bereits der Bundesaußenminister in Ankara. Berlin scheint also den Beziehungen zur Türkei große Bedeutung zuzumessen.

Bei der gemeinsamen Pressekonferenz betonte Bundeskanzler Merz die enge Bindung zwischen der EU und der Türkei. Die Anadolu Agentur übersetzte dies in einer Weise, dass er die Türkei in der EU sehen möchte. Er wiederholte jedoch nur die Formel, dass die engstmöglichen Beziehungen angestrebt werden sollen. Zugleich ließ er keinen Zweifel daran, dass die Türkei weit davon entfernt sei, die Kopenhagener Kriterien zu erfüllen und verwies auch auf fehlende Rechtsstaatlichkeit. Bedenkt man aber, dass nur wenige Tage zuvor auch der britische Premierminister Stamer die Türkei besuchte, kann von einem gestiegenen Interesse an der Türkei gesprochen werden.

Dabei gibt es neben allgemeinen auch konkrete Erwartungen. Bei den allgemeinen Erwartungen tritt die Erkenntnis hervor, dass Europa sich zunehmend bei der Lösung internationaler Krisen an den Rand gedrängt sieht und erkannt hat, dass nur mit neuen bzw. gestärkten Bündnissen größeres Gewicht zu erlangen ist. Hier bietet sich die Türkei mit ihren Beiträgen zur Ukraine-Krise und in Gaza an. Zu den konkreten Erwartungen gehört mal wieder die Migration. Deutschland möchte Syrer abschieben, doch deutsche Gerichte sehen die Lage in Syrien als nicht ausreichend sicher an, um einer Abschiebung zuzustimmen. Ob die Türkei da nicht helfen könnte? Einer Abschiebung in die Türkei würden deutsche Gerichte ihrer Zustimmung wohl nicht verweigern. Und aus der Türkei könnten die Abgeschobenen mehr oder weniger freiwillig nach Syrien zurückkehren.

Steigende Erwartungen beim Friedensprozess

Am Wochenende erklärte die PKK, dass sie ihre Militanten aus der Türkei abziehen werde. Es ist ein symbolischer Schritt, weil angenommen wird, dass sie über keine größeren militärischen Kräfte mehr in der Türkei verfügt. Wichtiger ist wohl der Schritt, ihre Milizen auch im Irak auf eine Linie zurückzuziehen, auf der zufällige Kontakte mit türkischen Truppen ausgeschlossen sind. Es war damit eine politische Geste. Praktisch kann man natürlich die Frage stellen, warum eine Organisation, die sich im Sommer aufgelöst hat, nach wie vor Milizen verlegt…

Am 30. Oktober trat zum einen die Parlamentskommission zusammen und hörte Geheimdienstchef Kalın sowie Justizminister Tunç an. Zum anderen traf sich eine Delegation der DEM mit Staatspräsident Erdoğan. Details zu beiden Ereignissen sind zunächst nicht zu erfahren, denn beide Sitzungen fanden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Während die Parlamentarier von İbrahim Kalın vor allem Informationen über die Entwaffnung der PKK wollten, stellte Justizminister Tunç zum einen die aktuelle Zahl der Inhaftierten PKK-Mitglieder sowie die Vorbereitungen für Gesetzesentwürfe vor. Parlamentspräsident Kurtulmuş wiederum erklärte, dass die Anhörungen nun weitgehend abgeschlossen seien und die Kommission ihren Bericht vorbereite.

Man hätte meinen können, dass eine umgekehrte Vorgehensweise richtiger gewesen wäre: Die Kommission bereitet ihren Bericht vor, der Vorschläge für Gesetzesänderungen beinhaltet und das Justizministerium beginnt mit der Ausarbeitung von Entwürfen. Hier dagegen wird die Kommission über den Stand der Gesetzesvorbereitungen informiert.

An dieser Stelle meldete sich der inhaftierte frühere HDP-Ko-Vorsitzende Selahattin Demirtaş mit einem Beitrag für die Nachrichtenplattform T24 zu Wort. Er beginnt mit einem Rückblick über das vergangene Jahr und würdigt die wichtigen Entwicklungen, die es auf dem Weg zu einer friedlichen Lösung des Kurden-Konflikts gegeben hat. Doch dann kritisiert er. Um ein Gefühl der Brüderlichkeit zwischen allen Bevölkerungsgruppen zu entwickeln, muss man sie überzeugen. Ist die Bevölkerung jedoch überzeugt, ist die Gesetzgebung ein leichtes Unterfangen. Doch gerade der Aspekt der Überzeugung fehle im bisherigen Friedensprozess.

Zwei Empfänge

Beim Empfang anlässlich der Eröffnung des neuen Gesetzgebungsjahres hatte das Gruppenfoto mit Staatspräsident und Parteiführern Schlagzeilen gemacht. Die CHP hatte den Empfang boykottiert und war darum auf dem Foto nicht vertreten. Es sollte also gleichsam die Isolation der größten Oppositionspartei zeigen.

Beim Empfang des Staatspräsidenten anlässlich des Nationalfeiertags am 29. Oktober gab es kein neues Gruppenfoto. Die DEM war nicht eingeladen. Der MHP-Vorsitzende nahm nicht teil. Zur Kenntnis genommen wurde nur, dass Ali Babacan und Ahmed Davutoğlu unter den geladenen Gästen waren. Über beide wird gemunkelt, sie würden nach einem Weg für die Rückkehr in die AKP suchen. Ali Babacan erklärte nur, dass sich an seinen zentralen Einwänden gegen die AKP-Politik nichts geändert habe. Bei der Zukunftspartei von Ahmet Davutoğlu wird gemunkelt, dass diese sich auf eine Vereinigung mit der Neuen Wohlfahrtspartei von Fatih Erbakan vorbereite.

Das Bemühen der AKP, Mandatsträger anderer Parteien zu sammeln, ist offenkundig. Vor allem CHP-Bürgermeister sowie Parlamentsabgeordnete der kleinen Konservativen Parteien stehen weit vorn. Populär sind solche Übertritte nicht. Weder Bürgermeister noch Abgeordnete wurden gewählt, um der AKP beizutreten.

Hohe Steuerbelastung

Eurostat hat einen Vergleich der Steuerbelastung unter den EU-Ländern und Beitrittskandidaten veröffentlicht. Dabei liegen die Steuern und Sozialabgaben im EU-Durchschnitt bei 40,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Am niedrigsten sind sie mit 22,4 Prozent in Irland. Von den EU-Ländern hat Dänemark mit 45,8 Prozent eine Spitzenstellung. Die Türkei jedoch erreicht mit 46,7 Prozent den höchsten Wert unter allen einbezogenen Ländern.

Man könnte diese Prozentsätze auch als Staatsquote interpretieren. Bedenken muss man zudem, dass die Schattenwirtschaft in die Berechnung des Bruttoinlandprodukts nicht eingeht. Tatsächlich könnte die Steuerbelastung also niedriger liegen.

Eine hohe Staatsquote sagt zunächst nichts über die Belastung der Bevölkerung – schließlich könnten die staatlichen Mittel auch zu einem bedeutenden Anteil für soziale Transfers eingesetzt werden. Diese steigen zwar in der Türkei, bleiben aber hinter dem EU-Durchschnitt zurück.