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Die erste Anklageschrift zu den Korruptionsermittlungen in Istanbul scheint die Einwände zu bestätigen: von greifbaren Beweisen wurde bisher nicht berichtet. Stattdessen wird nun auch noch eine Spionageermittlung eingeleitet… Die Klage gegen den CHP-Parteitag 2023 wurde abgewiesen, so dass eine gewisse Rechtssicherheit eintritt. Die türkische Zentralbank hat ihren Leitzins um einen Prozentpunkt gesenkt, obgleich sie steigende Inflationsrisiken sieht.
Aziz Ihsan Aktaş ist eine Schlüsselperson in den Ermittlungen gegen CHP-geführte Kommunen. Er gilt auf der einen Seite als Kronzeuge und auf der anderen als Anführer einer kriminellen Organisation. Nun ist in seinem Fall Anklage erhoben worden. Zusammen mit ihm werden 7 Bürgermeister angeklagt, die öffentliche Ausschreibungen manipuliert und Bestechung angenommen haben. Aus den Berichten über die Anklage geht hervor, dass zehn bis zwanzig Prozent eines Auftragswert aufgeschlagen und an Mittelspersonen ausgezahlt wurden. In der Anklage geht es um 63 Fälle mit einem Schadensvolumen von 1,17 Mrd. TL. Genannt werden zahlreiche Zahlungen, die als „Beitrag“ für den Wahlkampf bezeichnet wurden. Auch seien kostenlos Fahrzeuge zur Verfügung gestellt worden.
Angesichts des Schadensvolumens stellen sich einige recht praktische Fragen. Auch wenn es sich um 63 Fälle handelt, ist die physische Auszahlung solcher Geldmengen recht schwer geheim zu halten. In einem Fall soll eine Millionen Dollar gezahlt worden sein. In einem normalen Aktenkoffer dürften die Banknoten kaum Platz gefunden haben. Bei der Türkischen Lira wiederum wird man auf Fahrzeuge zurückgreifen müssen, um beispielsweise fünf Millionen TL zu zahlen. Man benötigt dazu mindestens 25.000 Geldscheine. Und dieses Geld muss zunächst aus dem normalen Zahlungsverkehr herausgeführt und später „gewaschen“ wieder zurückgeführt werden.
Einfacher dürfte es bei den Fahrzeugen gewesen sein. Hier geht die Staatsanwaltschaft davon aus, dass diese an Mittelspersonen überschrieben wurden, die den begünstigten Bürgermeistern nahestanden.
Ein anderer Punkt ist die Schadenshöhe. Wenn tatsächlich einfach 10 Prozent des Auftragspreises als Bestechung abgezweigt wurden, bedeutet dies, dass Aktaş Aufträge im Wert von 11,7 Mrd. TL erhalten hätte… Und dies bei nur 63 Aufträgen aus Stadtbezirken – nicht Metropolverwaltungen, die über größere Etats verfügen.
Zudem scheinen sich in der Anklageschrift auch Vorwürfe zu finden, die sich ausschließlich gegen CHP-Bürgermeister richten, nichts jedoch mit der unterstellten kriminellen Vereinigung zu tun haben. Demgegenüber wird die Anklageschrift gegen Oberbürgermeister İmamoğlu quasi vorweggenommen, wenn von der „kriminellen İmamoğlu Organisation“ die Rede ist. Wird davon als Tatsachenbehauptung gesprochen, müsste zunächst das Strafverfahren gegen ihn abgeschlossen werden.
Für Oktober war von der Staatsanwaltschaft angekündigt worden, dass eine Anklageschrift gegen Ekrem İmamoğlu vorgelegt würde. Am 22. Oktober wird jedoch gemeldet, dass nochmals mehr als 200 Mitarbeitende der Metropole zur Aussage einbestellt wurden.
In einem Kommentar zur Anklageschrift legt die Kolumnistin der Tageszeitung Karar Figen Çalıkuşu jedoch auch einen Finger in eine Wunde. Es ist immer wieder kritisiert worden, dass Ausschreibungen für öffentliche Aufträge nicht nach dem allgemeinen Verfahren der offenen Ausschreibung, sondern nach der Sondervorschrift erfolgen, bei der nur ausgewählte Firmen als Bieter eingeladen werden. Diese Praxis ist unabhängig von der regierenden Partei, birgt jedoch ein ungleich höheres Korruptionsrisiko als eine offene Ausschreibung. Die CHP hat diese Ausschreibungspraxis stets kritisiert, gleichwohl scheint sie in CHP-geführten Kommunen regelmäßig angewendet zu werden.
Am 24. Oktober meldet die Istanbuler Staatsanwaltschaft zwei neue Untersuchungen, die sich letztlich gegen Ekrem İmamoğlu richten. Die eine stellt Hüseyin Gün im Mittelpunkt, der bereits im Juli 2025 unter Spionageverdacht festgenommen wurde. Dieser soll engen Kontakt zum Wahlkampfteam von İmamoğlu gehabt haben. Ihm wird Zusammenarbeit mit ausländischen Geheimdiensten, der Gülen Gemeinschaft und der PKK vorgeworfen. Die zweite Untersuchung richtet sich gegen Datendiebstahl bei der Metropole Istanbul. Hier sollen personenbezogene Daten der Nutzer von zwei Apps der Metropole außer Landes transferiert und später auch im Darknet angeboten worden sein. In beiden Ermittlungen wird bisher kein direkter Bezug zu İmamoğlu hergestellt, sondern stets auf die „kriminelle İmamoğlu Vereinigung“ verwiesen. Zwischen den Zeilen kann man zudem die „Geschichte“ lesen, dass es ausländische Staaten gewesen seien, die İmamoğlu 2019 den Sieg bei der Kommunalwahl in Istanbul ermöglicht haben.
Ausländische Geheimdienste ohne Nennung konkreter Länder, die Gülen Gemeinschaft und die PKK auf eine Person zu beziehen, wirkt ein wenig, als ob man versuchte alle Teufel der Welt zu mobilisieren. Da es sich hier jedoch nicht um irgendwelche Verschwörungstheoretiker, sondern um die Staatsanwaltschaft Istanbul handelt, bleibt abzuwarten, ob auch nur der Ansatz von Beweisen vorgelegt werden kann.
In Ankara wurde die Klage wegen Manipulation des CHP-Parteitages vom November 2023 abgewiesen. Die Kläger hatten gefordert, den Parteitag für nichtig zu erklären und damit auch den Vorsitz von Özgür Özel, den Parteirat und den Disziplinarausschuss für illegitim zu erklären. Damit wären alle Beschlüsse dieser Parteiorgane ebenfalls nichtig. Der Forderung der Kläger zufolge sollte der frühere Vorsitzende Kemal Kılıçdaroğlu wieder an die Parteispitze zurückkehren.
Da die Einspruchsfristen gegen den Parteitag längst abgelaufen sind, stützte sich die Klage vor allem auf staatsanwaltliche Ermittlungen wegen Bestechung von Delegierten. Das Strafverfahren hat jedoch noch nicht begonnen. Während ein Gericht in Istanbul die Anklageerhebung wegen des dortigen Provinzparteitages vom Oktober 2024 für ausreichend betrachtete, um durch eine einstweilige Anordnung einen Treuhänder einzusetzen, lehnte das Gericht in Ankara dies ab.
Tufan Erhürman erreichte mit 62,76 Prozent einen klaren Sieg gegenüber dem von Ankara unterstützten Amtsinhaber Ersin Tatar. Die Reaktionen in der Türkei fielen recht unterschiedlich aus: während Staatspräsident Erdoğan unverzüglich Erhürman zu seiner Wahl gratulierte, rief sein Bündnispartner und MHP-Vorsitzende Bahçeli das Parlament auf der Insel auf, den Anschluss an die Türkei zu beschließen.
Während des Wahlkampfs hatte Erhürman seine Bereitschaft zur Wiederaufnahme der Zypern-Verhandlungen erklärt. Er knüpfte daran jedoch Bedingungen. Es sollen keine zeitlich offenen Verhandlungen werden und sollten diese scheitern, dürfe dies nicht zur Rückkehr zum Status Quo führen. Damit dürfte er für die Insel-Griechen eine größere Herausforderung darstellen, als sein Amtsvorgänger.
Gleichwohl muss man auch bedenken, dass der Handlungsspielraum des neuen Staatschefs angesichts der hohen Abhängigkeit von der Türkei nicht allzu groß ist. Neben der materiellen Abhängigkeit ist er auch für Verhandlungen auf die politische Unterstützung aus Ankara angewiesen. Für die türkische Außenpolitik, die zurzeit auf eine Wiederannäherung an die EU setzt, ist das eine gute Nachricht.
Im Sommer ist viel über eine Anklage wegen Fälschung von Dokumenten innerhalb staatlicher Datenbanken diskutiert worden. Nun ist ein weiteres Ereignis bekannt geworden. Es geht darum, dass bei der Bewerbung für einen Studienplatz bei der staatlichen Prüfungsstelle ÖSYM nur Minuten vor Ablauf der Bearbeitungsfrist Daten elektronisch verändert wurden. Da dies vom ÖSYM nicht anerkannt wurde, klage der Betroffene vor einem Verwaltungsgericht in Ankara. Dieses sah die eingereichten Beweise für eine Manipulation der Daten als ausreichend an, um eine Änderung der Bewerbung zuzulassen.
Technisch gesehen scheint es schwierig zu sein, herauszufinden, was wirklich passiert ist. Betroffen ist nicht nur der Kläger, sondern mindestens drei weitere Personen. Da die Manipulationen auf eine einzige IP-Nummer zurückgeführt werden konnten, die betroffenen Personen jedoch über keine persönlichen Beziehungen untereinander verfügten, kann ein einfaches Ausspähen der Parole für das Bedienungspanel wohl ausgeschlossen sein.
Eine einfache Möglichkeit, solche Manipulationen zu erschweren, ist die Zwei-Wege Verifizierung. Dabei genügt es nicht, die Parole zu kennen, sondern es muss über eine Bestätigungsbotschaft, die an den Berechtigten gesendet werden, eine zweite Bestätigung erfolgen. Bei den staatlichen Datenbanken ist dies bisher nicht Standard. Andere Schutzvorkehrungen senden zudem eine Warnung an den Berechtigten, wenn von einem neuen Gerät versucht wird, die Berechtigung zu nutzen. Auch dies ist bei den staatlichen Datenbanken nicht installiert.
Für die Nutzer der E-Devlet Dienste besteht jedoch die Möglichkeit, die Zwei-Wege Authentifizierung selbst einzustellen.
Das Türkische Statistikinstitut hat eine Analyse der Haushaltsausgaben in den 26 türkischen Regionen veröffentlicht. Aufgegriffen wurde dies von Ismet Özkul und von Erhan Aslanoğlu bei der Wirtschaftsplattform ekonomim. Özkul beschäftigt sich dabei mit den regionalen Ungleichgewichten. Bezogen auf die Gesamtausgaben liegt die Spanne zwischen der Region mit den niedrigsten Ausgaben und der mit den höchsten beim Faktor 3,6. Doch geht man in die einzelnen Ausgabengruppen, ergibt sich ein differenzierteres Bild. Bei Nahrungsmitteln und alkoholfreien Getränken beispielsweise liegt der Faktor landesweit bei 2,2, bei Bildung dagegen bei 26,4. Die höchsten Pro-Kopf-Ausgaben wurden dabei in der Region Aydın, Denizli und Muğla mit 19.544 TL gemessen, gefolgt von Istanbul mit 19.504 TL (2024). Am niedrigsten lagen sie in Diyarbakır und Şanlıurfa mit 5.435 TL.
Erhan Aslanoğlu wiederum beschäftigt sich mit den Gewichten der einzelnen Ausgabengruppen und setzt sie mit dem Gewicht bei der Inflationsberechnung in Beziehung. Beispielsweise haben Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke ein Gewicht im Inflationswarenkorb von 25 Prozent, bei den ermittelten Haushaltsausgaben jedoch nur eines von rund 20 Prozent. Demgegenüber liegen Wohnen und Verkehr bei den Haushaltsausgaben deutlich höher als im Inflationsindex. Die Diskrepanz führt zu einem bedeutenden Messfehler bei der Inflation, der sich im wachsenden Misstrauen gegenüber dem Türkischen Statistikinstitut niederschlägt.
Am 23. Oktober senkte die türkische Zentralbank ihren Leitzins um einen Prozentpunkt auf 39,5 Prozent. Dies entsprach auch den durch Umfragen ermittelten Erwartungswert. In der Presseerklärung zur Zinsentscheidung weist die Zentralbank darauf hin, dass im September der Inflationstrend gestiegen sei. Auch hätten sich die Risiken für den Desinflationsprozess durch Inflationserwartung und Preisverhalten konkretisiert.
Man sollte glauben, dass nach dieser Feststellung nicht eine Zinssenkung erfolgt. Insbesondere dann nicht, wenn direkt im Anschluss auf die Wichtigkeit der Geldpolitik für die Inflationserwartung hingewiesen wird.
Gleichwohl hatte insbesondere die regierungsnahe Tageszeitung Yeni Şafak in den vergangenen zwei Wochen auf die negativen Auswirkungen der Hochzinspolitik hingewiesen und Finanzminister Şimşek kritisiert. Auf der anderen Seite war aber in verschiedenen Beiträgen darauf hingewiesen worden, dass eine Zinssenkung um einen Prozentpunkt auf die Marktzinsen nahezu keine Auswirkungen haben werde. Es handelt sich also um einen symbolischen Akt. Auf der einen Seite wird auf die Klagen wegen der Hochzinspolitik eingegangen und die Zinssenkung fortgesetzt. Auf der anderen Seite jedoch in einem Maße, das ohne konkrete Wirkung auf die Nachfrageentwicklung bleiben dürfte. Kritiker dagegen werden vertreten, dass die Zentralbank politischem Druck nachgegeben habe.
Tatsächlich wäre vermutlich eine größere Zinssenkung möglich, wenn die Unabhängigkeit der Zentralbank garantiert würde. Sie hätte wohl auch größer ausfallen können, wenn kein Risiko aufgrund politischer Entscheidungen der Justiz bestünde. Die Liste ließe sich fortsetzen. Derzeit wird erwartet, dass das Ziel, das Jahr mit einer Jahresinflation von weniger als 30 Prozent abzuschließen, verfehlt wird. Auch das Ziel von 16 Prozent für das kommende Jahr wirkt wenig realistisch, wenn die Geldpolitik nicht durch Politikänderungen unterstützt wird.
Derweil hat eine Änderung des Steuerrechts den Weg durch die Parlamentsinstanzen aufgenommen. Vorgesehen sind darin die Streichung verschiedener Steuernachlässe sowie Gebührenerhöhungen. Insbesondere die Erhöhung der Steuern auf Mieteinnahmen dürfte einen neuen Anstieg der Mietpreise nach sich ziehen. Die enorme Erhöhung bei Gesundheitsleistungen wiederum dürfte nicht ohne Auswirkungen auf die Gesundheitspreise bleiben. Keine guten Aussichten für eine Inflationssenkung.