Kurzmeldungen: Alle Kurzmeldungen
Es vergeht eigentlich kaum ein Tag ohne Nachrichten von politischer Justiz. Nach dem Ermittlungsverfahren wegen angeblicher Unregelmäßigkeiten beim CHP-Parteitag 2023 hat die Staatsanwaltschaft nun auch Ermittlungen wegen Gerüchten über Unregelmäßigkeiten beim CHP-Istanbul Parteitag aufgenommen. Vollends lächerlich wird es jedoch, wenn ein bekannter Gourmet nach einem Besuch der Kent Lokanta (Stadtrestaurant in kommunaler Trägerschaft mit verbilligtem Essen) sagt, das Essen sei schmackhaft und danach mit einem Ermittlungsverfahren vor der Wettbewerbsbehörde konfrontiert wird.
Zwei Tage nach dem Aufruf des inhaftierten PKK-Führers Abdullah Öcalan zur Aufgabe des bewaffneten Kampfes und Auflösung der PKK hat das Exekutivkomitee der PKK einen Waffenstillstand ausgerufen. Sie erklärte jedoch, dass für den Erfolg des Öcalan Aufrufs die Schaffung einer geeigneten politischen und rechtlichen Basis erforderlich sei. Die türkische Regierung dagegen hat bisher jegliche Verhandlungen mit der PKK ausgeschlossen und eine bedingungslose Auflösung gefordert.
Zu den offenen Fragen gehört auch die Reichweite des Öcalan Appells. Die PKK besteht aus mehreren Unterorganisationen und verfügt über Schwesterparteien, die von der türkischen Regierung als Teil der PKK betrachtet werden. Das prominenteste Beispiel ist die PYD/YPG in Syrien. Aber auch im Iran und Irak gibt es eine solche Partei. Sollen sie sich nun auch auflösen?
Mit der Waffenstillstandserklärung der PKK hat die Diskussion über die nächsten Schritte begonnen. Die DEM fordert eine Parlamentskommission zu gründen, die alle nötigen rechtlichen Schritte vorbereiten soll. Andere jedoch halten einen solchen Schritt für verfrüht. Zunächst müsse die Auflösung der PKK erfolgen und geklärt werden, wie die Waffen niedergelegt werden. Demgegenüber unterstützt der CHP-Vorsitzende Özel die Gründung einer Parlamentskommission und charakterisiert den Kurden-Konflikt als ein Demokratisierungsproblem.
Wie auch immer die offenen Fragen geklärt werden sollen – es muss schnell gehen. Das Risiko einer erneuten Eskalation, die den Waffenstillstand zunichte machen könnte, ist sehr groß.
Bereits mit der Münchner Sicherheitskonferenz Anfang Februar hatte sich der Wind in Europa gedreht. Der Herauswurf des ukrainischen Staatspräsidenten Zelenksy aus dem Weißen Haus hat jedoch beträchtliche Verstörung bei den westlichen Verbündeten der USA ausgelöst. Vollkommen überraschend kamen die Entwicklungen nicht. Doch es ist etwas anderes, wenn ein Ereignis eintritt und auch mit der Geschwindigkeit war wohl nicht gerechnet worden.
Dass sich Europa verstärkt der Sicherheitspolitik zuwenden würde, zeichnete sich bereits Ende vergangenen Jahres ab. Und in Ankara wird dies nicht zuletzt als eine Gelegenheit gesehen, die eingefrorenen Beziehungen zur EU wieder zu beleben. Nicht nur die Größe der türkischen Armee, sondern auch die Erfolge der türkischen Rüstungsindustrie in den letzten Jahren machen das Land zu einem interessanten militärischen Partner. Bedenkt man zugleich, dass die türkische Rüstungsindustrie bei all ihren Projekten aufgrund der zahlreichen Embargos konsequent darauf setzt, weitgehend von internationaler Zulieferung unabhängig zu sein, dürfte auch dies für europäische Partner mit Sorge vor Querschüssen aus den USA nicht uninteressant sein. Es überrascht nicht, dass das italienische Rüstungsunternehmen Leonardo gerade jetzt ein Kooperationsabkommen mit dem türkischen Drohnen-Hersteller Baykar abschließt.
War die Türkei zu einem kurzfristigen außerordentlichen Ukraine Gipfel nach Paris nicht eingeladen worden, so saß ein paar Tage später der türkische Außenminister bei der London-Konferenz mit am Tisch. Die türkische Regierung erklärt selbstbewusst, dass eine europäische Sicherheitsarchitektur nur unter Einbeziehung der Türkei gelingen könne. Militärisch ist dies wohl auch nicht von der Hand zu weisen. Doch es bleibt zu hoffen, dass der Auftritt des CHP-Vorsitzenden Özgür Özel bei den europäischen Sozialisten im Vorfeld des EU-Sondergipfels Wirkung zeigt. Er tritt für die Integration der Türkei in Europa ein und hält sie für erforderlich. Doch will er dies nicht auf der Grundlage von „Deals“, sondern auf der Grundlage einer auf demokratische Werte gestützten langfristigen Zusammenarbeit.
Am Montag wurde der Bürgermeister des Istanbuler Stadtbezirks Beykoz in Untersuchungshaft genommen. Er wurde fünf Tage zuvor, morgens um 4:00 Uhr verhaftet. Vorgeworfen wird ihm Korruption im Zusammenhang öffentlicher Ausschreibungen. Insgesamt wird gegen 22 Personen ermittelt. Was Bürgermeister Köseler konkret vorgeworfen wird, geht aus den bisher veröffentlichten Details nicht wirklich hervor. Offensichtlich jedoch ist, dass dieser fünf Tage ohne richterliche Anordnung festgehalten wurde. Die Obergrenze dafür liegt bei vier Tagen. Eine Festnahme ohne Rechtsgrundlage ist Freiheitsberaubung, da sie durch Beamte erfolgt zudem noch Amtsmissbrauch. Zudem ergibt sich ein Plausibilitätsproblem. Die Staatsanwaltschaft erwirbt den Vorwurf, dass ein ziemlich komplexes System zur Verschleierung gezielter Auftragsvergaben entwickelt wurde. Da die Ermittlungen bereits im vergangenen Herbst einsetzten und der Stadtbezirk erst seit April von der CHP regiert wurde, soll nach Ansicht der Staatsanwaltschaft also die Konzentration auf der Manipulation einiger öffentlicher Ausschreibungen gelegen haben?
Auf der anderen Seite wurde ein Verfahren gegen den oppositionellen Fernsehsender Halk TV mit einem Freispruch bei der ersten Verhandlung beendet. Einen Monat zuvor waren Sendeleiter, ein Journalist und eine Moderatorin aus dem Fernsehgebäude heraus verhaftet worden. Es ging um die Veröffentlichung der Stellungnahme eines Sachverständigen, der von Istanbuls Oberbürgermeister İmamoğlu der Parteilichkeit beschuldigt wurde. Nun erhob die Staatsanwaltschaft den Vorwurf, es solle Druck auf den Sachverständigen und damit auf die Justiz ausgeübt werden. Zudem sei der Mitschnitt der Stellungnahme des Sachverständigen ohne dessen Zustimmung erfolgt. Drei der vier Beschuldigten wurden gegen Auflagen freigelassen, einer in Untersuchungshaft genommen.
Der zügige Entscheid in dem Verfahren ist erfreulich. Doch es bleiben einige Fragezeichen offen. Von Anwälten wurde vorgebracht, dass der Straftatbestand der Justizbeeinflussung nicht erfüllt war. Nach einer Reform vor einigen Jahren lässt er sich nur noch auf Richterund Staatsanwälte anwenden. Dies hätte einem Staatsanwalt bei der Anklageerhebung ebenso auffallen müssen wie einem Gericht bei der Annahme der Anklageschrift. Zudem ist da noch die Praxis demonstrativ vorgenommener Festnahmen. Weder Fluchtgefahr noch Verdunkeln von Beweisen wirken in dem Fall plausibel. Nicht jede Anklage muss zu einer Verurteilung führen. Darum nicht jeder Freispruch zu einem Disziplinarverfahren. Die Umstände der Ermittlung, d.h. die Demonstrative Festnahme von Personen, die bei Einbestellung ohnehin gekommen wären, um ihre Aussagen zu machen, wirft Fragezeichen auf.
Sechs Bauingenieuren wird vorgeworfen, Erdbebendaten gefälscht zu haben. Auf diese Weise berechnete Statikprojekte benötigten weniger Baustahl und auch die Anforderungen an die Betonqualität wurden verringert. Es ging also darum, Kosten zu sparen. Nun steht der Verdacht im Raum, dass bis zu 1.481 Baugenehmigungen von diesem Vorgehen betroffen sein könnten. Auch muss festgestellt werden, wie stark die Bausicherheit der betroffenen Wohnungen und Häuser beeinträchtigt wurde.
Die Kammer der Bauingenieure weist darauf hin, dass für die Überwachung der Bauausführung private Unternehmen zuständig sind. Ursprünglich waren die Kammern von Architekten und Ingenieuren auch für die Genehmigung von Projekten zuständig, doch wird davon seit langem abgesehen. Es zeigt sich jedoch auch, dass die Überwachung der Bauausführung wenig Sicherheit schafft, wenn nicht zuvor die Projektentwicklung geprüft wurde.
Das Türkische Statistikinstitut hat die Februar-Inflation mit 2,27 Prozent bekannt gegeben. Erwartet wurde ein Preisanstieg um 3 Prozent. Betrachtet man die Details, so zeigt sich, dass für Bekleidung und Schuhe ein Preisrückgang von 5,06 Prozent und für Gesundheitsleistungen einer von 4,38 Prozent festgestellt wurde. Während die Daten für Schuhe und Bekleidung bereits mehrfach für Verblüffung sorgten, war der Rückgang bei Gesundheitsleistungen erwartet worden. Im Januar war die Zuzahlung für Gesundheitsleistungen für Sozialversicherte erhöht worden. Anfang Februar wurde die Erhöhung wieder zurückgenommen. Einen sachlichen Grund gab es nicht. Aber man scheute sich vor der Wirkung auf die Inflation. Bereits zuvor hatte Finanzminister Şimşek erklärt, man bemühe sich bei der Festsetzung von Gebühren darum, vor allem solche zu steigern, die eine geringe Gewichtung im Inflationsindex haben. Jenseits der Frage, wie realistisch die Gewichtung der einzelnen Warengruppen im Verbraucherpreisindex ist, entsteht der Eindruck von Inflationskosmetik. Angesichts der erlebten Inflation dagegen schwindet das Vertrauen in die veröffentlichten Daten weiter. Eine Ursache für das Auseinanderklaffen zwischen dem Inflationsziel der Zentralbank und den Erwartungen der Bevölkerung könnte genau darin liegen.
Am 6. März beschloss der Geldrat der Zentralbank erwartungsgemäß die Senkung des Leitzinses von 45 auf 42,5 Prozent. Der Begründungstext legt nahe, dass die Zinssenkungen fortgesetzt werden. Von Wirtschaftsverbänden wurde die Zinssenkung mit dem Appell aufgenommen, dass nun günstigere Kredite bereitgestellt werden müssen. Doch die Zentralbank hat zwar die Zinsen gesenkt, eine der Stellschrauben für den Geldmarkt jedoch weiter angezogen. Die Obergrenze für den Anstieg von Währungskrediten durch inländische Banken wurde von einem auf einen halben Prozentpunkt gesenkt. Auch bei den TL-Krediten setzt die Zentralbank auf eine Bremsung des Anstiegs. Leichter Zugang zu günstigen Krediten wird darum auf sich warten lassen.