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Jahrgang 4 Nr. 36 vom 4.09.2009
 

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Was ist denn schon dabei?

Spielsucht unter Türken

Claus Stille

Diese Woche bekamen 15 türkische Teestuben und Kulturvereine in verschiedenen Bremer Stadtteilen „Besuch“ von Ordnungshütern. Laut bild.de durchsuchten bei der groß angelegten Razzia mehr als 200 Polizeibeamte die Örtlichkeiten gründlich.

Es wurde wegen illegalem Glücksspiel ermittelt.

Wie radiobremen meldete, konnten dabei insgesamt 48 Glücksspielautomaten sichergestellt, beschlagnahmt und per LKW zur weiteren Untersuchungen abtransportiert werden.

Den Betreibern der Teestuben wird vorgeworfen, unerlaubtes illegales Glücksspiel ermöglicht zu werden.

Bei den beschlagnahmten Spielgeräten soll es sich um so genannte Fun-Games-Automaten handeln. Diese sind bereits seit 2006 verboten. Aus gutem Grund: An diesem Automaten dauern die Spiele meist nur ein paar Sekunden. Die aber haben es in sich. Schnell sind 50 Cent verspielt. Aus dem Grunde bergen diese Automaten ein besonders hohes Suchtpotenzial. Seitens der Polizei wird geschätzt, dass die Glücksspielautomaten-Betreiber Gewinne im fünfstelligen Bereich - pro Woche (!) - machen.

Nach Abschluss der Überprüfung der Automaten wird herausgefunden sein, wie viel Geld die „Spielhöllen“-Betreiber mit den Geräten verdient haben. Voraussichtlich müssen diese das Geld in voller Höhe zurückzahlen. Es wird der Bremer Staatskasse zufließen...

Die Illegalität solchen Glücksspiels und dem Staat dadurch entgangene Einnahmen sind aber nur die eine Seite der Medaille.

Oft verheerende Folgen zeitigt nämlich die durch solche Glücksspielgeräte noch geförderte Spielsucht vieler davon betroffener Menschen.

Schlimm nicht nur für diese selbst, sondern meist für deren gesamte Familie.

Spielsucht kommt, darauf wies ein Psychologe am Freitag in einer Funkhaus-Europa-Sendung hin, in nahezu jedem Kulturkreis vor.

Angesprochen auf die Teestuben-Razzia in Bremen merkte der türkischstämmige Experte, sich auf eigne Erfahrungswerte stützend, jedoch an, dass die Spielleidenschaft gerade auch unter türkischen Männern besonders verbreitet sei. Und dies mache sich eben in Deutschland bemerkbar, wo viele Türkischstämmige leben. Dorthin nämlich hätten diese ihre Kaffeehaus- bzw. Teestuben Spieltraditionen sozusagen exportiert, nachdem sie als Gastarbeiter ins Land gekommen waren. Später entdeckten die Türken ihre Leidenschaft für Glücksspielautomaten.

Nicht selten sind es Ehefrauen oder Mütter, die in höchster Not um Hilfe beim Psychologen ansuchen. Ehemänner und Söhne sind es in den meisten der Fälle, welche beim Glücksspiel – oft im wahrsten Sinne des Wortes – Haus und Hof verspielen. Frauen sind traditionell davon eher weniger betroffen. Allein schon, weil sie in Teestuben nicht verkehren. In erster Linie verspielen also die Männer ohne Rücksicht auf Verluste das Haushaltsgeld. In der Klemme stecken dann die Ehefrauen: Wie sollen sie Haushalt und Kinder finanzieren? Die spielsüchtigen Männer leiden dazu noch unter Realitätsverlust. Sie wollen ihre Schuld an der Misere nicht wahrhaben. Das führt zu Streit. Der wird fast immer auf dem Rücken der Ehefrauen ausgetragen. Sogar wortwörtlich: Manche Männer werden gewalttätig gegenüber ihren Frauen. Dass ganze Familien auseinander brechen ist keine Seltenheit. Oft ist man auf Grund der Spielsucht hoch verschuldet. Dazu kommen als Ausweg aus der Krise gedachte aufgenommene Bankkredite, die aber schließlich wegen der weiter wuchernden Spielsucht meist nicht zurückgezahlt werden können, und so neue Probleme aufwerfen. Ein Teufelskreis, der ins Verderben führt und vielmals entsetzliches Leid verursacht.

Der Psychologe weiß aus der eignen Praxis: beim Spielsüchtigen verhält es sich ähnlich wie beim Alkoholiker. Auch der vermag in den paar Gläschen Alkohol, die er täglich zu sich nimmt alles andere sehen: nur keine Sucht. Und so wie der Alkoholiker meint, eben nur ein bisschen zur „Entspannung“ zu trinken, ist sich halt der Glücksspielabhängige sicher, nur zu Spielen, um sich ein wenig zu unterhalten. Was ist denn schon dabei?

Menschen aus dem türkischen Kulturkreis mögen wohl gerade auch deshalb so anfällig für die Spielsucht sein, weil sie in ihrem Leben schon frühzeitig mit den traditionell üblichen Spielen konfrontiert werden, und es somit sicher „normal“ und als dazugehörig empfinden. Zur von der Glücksspielsucht ausgelösten Katastrophe kann zusätzlich noch eine diesem Kulturkreis innewohnende und so auch gelebte erhöhte Bereitschaft zum Eingehen von Risiken sowie das Vorhandensein einer gewissen Arglosigkeit gegenüber möglichen Gefahren beitragen.

Es ist nicht so, dass das Problem der Spielsucht bisher nicht angesprochen worden wäre. Selbst türkische Zeitungen wie ZAMAN, SABAH und HÜRRIYET thematisierten das Thema „Spielsucht“ in Deutschland bereits in diesem Jahr.

Statistiken nach verbringen 15-jährige Jugendliche 3 Stunden am Tag vor dem Computer. Die Spielzeit türkischer Jugendlicher liegt noch deutlich höher. Eltern haben augenscheinlich die damit verbundenen Gefahren nicht erkannt. In HÜRRIYET kam der Kölner Psychologe Ali Kemal Gün zu Wort. Gün meinte, der Amoklauf eines Jugendlichen von Winnenden im Jahr 2008, der Tote und Verletzte forderte, seien eine Warnung für alle Eltern: Die Eltern müssten sich mit ihren Kindern beschäftigen. ZAMAN machte eindringlich deutlich, wie schlimm es schon jetzt steht: Allein in Niedersachsen seien 14.500 14-jährige Jugendliche spielsüchtig.

Fazit: Das Vorgehen gegen illegale Glücksspielbetreiber ist sicherlich wichtig und notwendig. Um aber Spielsucht als gesellschaftliches Problem zu bekämpfen, muss früher angesetzt werden. Das Problem sollte endlich an der Wurzel angepackt werden. Was den türkischen Kulturkreis anbelangt, fällt diese Aufgabe unbedingt den Medien zu. Aufklärung tut wirklich Not. Sie muss verstärkt in die Familien getragen werden. Zumal die das Problem Spielsucht, wie die Realität immer wieder bitter zeigt, noch nicht ausreichend als solches erkannt zu haben scheint. Entweder weil es verharmlost, wird oder man aus Scham lieber darüber schweigt und leidet. Bis das Kind dann irgendwann in den Brunnen gefallen ist. Dabei dürften türkischstämmigen Menschen Fälle von Spielsucht, welcher „Spiel“-Art auch immer, durchaus bekannt sein. Womöglich sogar aus der eignen Familie...

 

 

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